Angie ist die Coolness in Person: Die schlaksige 16-Jährige trägt ein Basecap auf den kurzen Locken und ein orangefarbenes T-Shirt. Auf dem sind die Umrisse des Bundeslandes Sachsen zu erkennen und die größten Städte des Freistaats. Unten rechts steht: Polizei Sachsen. Angie ist keine Lokalpatriotin, sondern Polizeischülerin aus Israel. Gemeinsam mit einem Dutzend Mitschüler und zwei Betreuern aus dem israelischen Jugenddorf Kannot war sie zu Gast bei Kollegen in Sachsen. Erst vor Kurzem waren Polizeistudenten aus Sachsen von ihrer ersten Reise aus Israel zurückgekehrt.
Der Austausch ist ein Projekt der Kinder- und Jugend-Aliyah, dem größten Hilfswerk für Jugendliche in Israel. Dessen Geschäftsführerin in Deutschland, Pava Raibstein, hatte vor einigen Jahren die Idee zu einem Austausch von Auszubildenden zwischen Deutschland und Israel. Partner auf israelischer Seite sind Jugenddörfer, in denen Waisen oder Heranwachsende aus schwierigen Verhältnissen leben, zur Schule gehen und eine Berufsausbildung erhalten.
Drei Jugenddörfer, in denen Polizisten ausgebildet werden, unterhalten Partnerschaften zur deutschen Polizei. Außer Sachsen beteiligen sich Hessen und Rheinland-Pfalz daran. Ziele sind »gegenseitiges Kennenlernen, Vorurteile abbauen, eine neue Beziehung zwischen unseren Nationen schaffen«, fasst Polizeidirektor Uwe Kilz zusammen, der seitens der sächsischen Polizei den Austausch leitet.
programm Das Programm sah unter anderem einen Besuch im Landtag vor, wo die stellvertretende Direktorin, Silvia Brüggen, die Architektur des Plenarsaals und die Arbeitsweise des Parlaments erklärte. Uwe Friedrich, der Sicherheitschef im Landtag, erläuterte die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Polizei und sagte, dass es um das Gebäude keine Bannmeile gibt. Demonstranten können also direkt vor dem Haus protestieren. Friedrich wies auch darauf hin, dass bis zur Wahl im vergangenen Herbst zehn Jahre lang die NPD im Sächsischen Landtag saß und die Debatten mit der fremden- und israelfeindlichen Partei nicht immer friedlich abliefen. Es gehöre aber zum deutschen Demokratieverständnis, sich auch mit solchen Extremen politisch auseinanderzusetzen, erklärte Silvia Brüggen den Schülern.
Man wolle den jungen Israelis vermitteln, dass Deutschland in den vergangenen 70 Jahren zweimal den Weg aus einer Diktatur in die Demokratie gefunden hat, und ihnen zeigen, wie sich die Bundesrepublik heute mit der NS- und der DDR-Vergangenheit auseinandersetzt, ergänzt Raibstein. Deshalb besuchte die Gruppe auch die Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden, zu DDR-Zeiten Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit und Untersuchungsgefängnis, sowie das Konzentrationslager Buchenwald. »Der Besuch in Buchenwald war tough«, muss sogar die unerschütterliche Angie zugeben. Vlad (17) pflichtet ihr bei: »Man lernt natürlich in der Schule darüber, aber das mit eigenen Augen zu sehen, ist doch etwas ganz anderes.«
geschichte Der Besuch im ehemaligen KZ war für die Teilnehmer schmerzhaft und aufwühlend, sagt Hezy Yosef, Leiter des Jugenddorfes Kannot, der die Gruppe begleitete. »Aber niemand äußerte Wut und Hass oder fragte: ›Warum ist das passiert?‹. Die jungen Leute sind bereit, ein neues Kapitel aufzuschlagen«, betont Yosef. Oder, wie Polizeischülerin Angie es formulierte: »Geschichte ist Geschichte. Deutschland ist heute anders.«
Deutschland nehme sie als »ruhig und ordentlich« wahr, sagte Angie. Die Leute seien eher zurückhaltend – eigentlich genau so, wie man es sich vorgestellt habe. Beeindruckt waren die Jugendlichen von der Synagoge in Leipzig. Vlad schwärmte: »Eine Synagoge mit so hohen Räumen habe ich in Israel noch nie gesehen.«
Doch nicht Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten sollten im Mittelpunkt des Austauschs stehen. Bei den jungen Leuten scheint in dieser Hinsicht nicht mehr viel Überzeugungsarbeit nötig. Um ein Kennenlernen mit deutschen Jugendlichen auch außerhalb der Polizei zu ermöglichen, hatten die Organisatoren Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums Pirna ebenfalls in den Sächsischen Landtag eingeladen. Beim Mittagessen fanden die Jugendlichen rasch gemeinsame Themen: von Musik über Ausbildung bis zum Führerschein.
Der 17-jährige Gymnasiast Alexander fand es spannend, von Gleichaltrigen etwas über ihren Alltag in Israel zu erfahren. »Darüber weiß man ja sonst nur etwas aus den Nachrichten. Und da geht es immer um Politik und den Gaza-Konflikt.« Sein Schulkamerad Felix meinte: »Die Israelis sind doch ganz locker. Es gibt zwischen uns eindeutig mehr Verbindendes als Trennendes.«