Ein Besuch der derzeit angesagtesten europäischen Hauptstadt gehört für immer mehr junge Menschen zum Sommerprogramm. So gut vorbereitet wie die Gruppe jüdischer Studenten aus den USA, die an diesem Sonntagabend im Restaurant »cum laude« der Humboldt-Uni sitzt, dürften allerdings nur die wenigsten Berlin-Besucher sein.
Die jungen Amerikaner nehmen am Programm »Germany Close Up« teil. Seit diesem Jahr bietet es jüdischen Studenten und Berufsanfängern die Möglichkeit, sich vor Ort über das Land zu informieren. Das Programm wird von der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum verwaltet und vom Transatlantikfonds der Bundesregierung finanziell unterstützt.
»Wir wollen das moderne Deutschland zeigen, mit seiner Geschichte, aber auch mit seiner Gegenwart und seiner Zu-
kunft«, sagt Programmdirektorin Dagmar Pruin. Diesmal nehmen Studenten der Po-
litikwissenschaften, Judaistik, Urbanistik und Auslandsbeziehungen teil. Entsprechend wurde das Programm zusammengestellt.
Dazu gehört ein Besuch der Jüdischen Gemeinde Brandenburg sowie ein Tag in Kreuzberg, an dem Immigration das Thema sein wird. Stressig finden die jungen Amerikaner, trotz Jetlag, die vielen neuen Eindrücke nicht. Was das Erstaunlichste war, was sie bislang über Deutschland ge-
lernt haben? Jakob und Jeremy müssen keine Sekunde nachdenken. »Das deutsche Steuersystem«, sagen sie, »vor allem diese Religionssteuer.« Das könnten sie einfach nicht verstehen. »Die religiöse Identität daran festzumachen, ob jemand Steuern zahlt, ist doch unlogisch. Man hört doch nicht einfach auf, ein Jude zu sein, nur weil man keine Abgaben an den Staat mehr leistet.«
Für Claire, Hadass und Leslie überwiegen die Eindrücke, die sie beim Besuch im Jüdischen Museum und bei der Stadtführung gesammelt haben. »Wie die Deutschen mit der jüdischen und ihrer Geschichte umgehen, ist sehr interessant«, meint Claire.
Keiner der Studenten hat den Trip nach Deutschland leichtfertig angetreten. Berlin ist kein Reiseziel wie jedes andere. Eine Teilnehmerin berichtet, dass ihre Eltern so erbost sind über ihren Deutschland-Be-
such, dass sie momentan nicht mehr mit ihr reden.
Sharon kann das verstehen. Dennoch ist es ihr wichtig, das moderne Deutschland mit eigenen Augen zu sehen. »Viele Juden in den USA wissen alles über die Vergangenheit, aber sie wissen nichts über die Gegenwart des Landes. Ich sehe das als ein Problem an, denn wir müssen die Zu-
kunft gemeinsam gestalten. Meiner Meinung nach wird es von meiner Generation abhängen, ob wir das schaffen.«
Vom Holocaust blieb Sharons Familie im damaligen Persien verschont. »Ich sage immer, dass ich in dem Punkt keine Familiengeschichte, sondern eine nationale Geschichte habe«, sagt sie. Und berichtet von ihrem schönsten Erlebnis in Deutschland: Nachdem die Gruppe das ehemalige Konzentrationslager in Sachsenhausen besucht hatte, ging man gemeinsam zum Schabbat in die Synagoge. »Und dort hatte ich es wieder, das gleiche Gefühl wie schon einmal, als ich nach einem Polenbesuch in Israel landete: nämlich eine Mischung aus Sicherheit, Erleichterung, Wärme und Heimat.« Elke Wittich
Studenten