von Sylke Tempel
Ergebnisorientiert. Ein schönes Wort ist das nicht, aber eines, das die Arbeit des American Jewish Committee (AJC) am besten umschreibt. »Wir sind mehr daran interessiert, Themen weiterzubringen, als sie zu vertiefen«, sagt Deidre Berger, die seit acht Jahren das Berliner Büro des AJC leitet. (Vgl. Interview auf S. 1)
Es geht eben nicht nur darum, festzustellen, dass Deutschland längst schon eine Einwanderungsgesellschaft geworden ist. Sondern auch darum, aktiv den Kontakt zu türkischen Organisationen zu pflegen. Nicht um Klagen über einen neuen Antisemitismus, der sich seit dem Ausbruch der Zweiten Intifada auch weit jenseits der rechten Szene bemerkbar macht. Sondern um die Mittel, die nötig sind, dieses Problem zu lösen. Zum Beispiel, indem man schon Schülern ein »Bild des Anderen« vermittelt und auf diese Weise versucht, der Entstehung von Stereotypen entgegenzuwirken. Oder indem sich das AJC als Debattenforum zur Verfügung stellt. Direkte und sehr gute Kontakte hat das AJC bis hinein in die höchsten Regierungsebenen.
1993 wurde der Beschluss gefasst, ein Büro in Berlin zu eröffnen – fünf Jahre später war es dann soweit. Diese Entscheidung war, wenige Jahre nach der Wiedervereinigung, nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Weder innerhalb des American Jewish Committee noch in der amerikanisch-jüdischen »community«. Weiter galt: Die Bundesrepublik war zwar ein treuer und verlässlicher Partner der USA. Aber der kleine, etwas langweilige Bonner Verbündete konnte gewiss nicht die Schatten der Vergangenheit überstrahlen. Sollte man sich wirklich im wiedervereinigten Deutschland »ansiedeln« und ein Zeichen setzen, das mehr bedeutete als Interesse, nämlich Vertrauen?
Dass das AJC heute um diesen Schritt beneidet würde, sagt Berger, sei vielleicht etwas übertrieben. Aber inzwischen hält man ihn weit über das AJC hinaus für den »absolut richtigen«. Nicht nur, weil er konsequent war: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hatte das AJC die Entwicklung in der Bundesrepublik engagiert beobachtet und Austauschprogramme gefördert. Der deutsche Emigrant Max Horkheimer hatte 1944 das Forschungsinstitut des AJC gegründet. Die Kontakte nach Deutschland reichen aber noch weiter zurück: Es waren amerikanische Juden überwiegend deutscher Herkunft, die 1906 das AJC gegründet hatten.
Nach dem Fall der Mauer ging es darum, Deutschlands neue Rolle in der Weltpolitik zur Kenntnis zu nehmen und die transatlantischen Beziehungen weiter zu vertiefen, weil sie nach wie vor die wichtigste Stütze sein müssen, um globalen Herausforderungen effektiv begegnen zu können.
Zehn Jahre – eine lange Zeit ist das im Grunde nicht. Und doch ist es dem AJC gelungen, etwas Unverwechselbares und Unersetzbares in Berlin zu etablieren. Ein weiteres Stück amerikanischer Debattenkultur, wie sie auch die American Academy oder das Aspen Institute verkörpern.
Hinzu kommt etwas spezifisch Amerikanisch-Jüdisches: ein Bewusstsein, das sich in den USA spätestens seit der Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre manifestierte, die prominent auch von vielen amerikanischen Juden unterstützt wurde: sich nicht nur auf »klassisch-jüdische« Themen zu beschränken, wie die Erinnerung an den Holocaust oder die Beziehungen zu Israel – die, ohne Frage, »dem AJC Berlin äußerst wichtig« sind. Sondern Themen aufzugreifen, die jeden engagierten Staatsbürger angehen müssen: die Gestaltung einer pluralistischen Gesellschaft, in der andere Traditionen ihren Platz finden sollen, demokratische Grundwerte aber nicht verleugnet werden dürfen. Oder sich mit dem islamistischen Terrorismus zu beschäftigen. Nicht, weil er sich in erster Linie gegen Israel und Juden in der ganzen Welt richtet. Sondern weil er offene Gesellschaften unterminiert.