von Peter Bollag
Gute Nachrichten für Schweizer Juden: Der koschere Rinderbraten zu Pessach ist gesichert. Zweieinhalb Monate vor dem Fest haben ein jüdischer Feinkostladen und eine koschere Metzgerei in Zürich das Kriegsbeil begraben – und damit einen Streit um den Import von Koscherfleisch beigelegt, der seit Wochen die Gemüter in den jüdischen Gemeinden der Schweiz erhitzt hat.
Schächten, das Schlachten von Tieren entsprechend den religiösen Vorschriften des Judentums und des Islam, ist in der Schweiz verboten. Die jüdischen Gemeinden sind deswegen auf den Import von Koscherfleisch angewiesen – allerdings werden die Mengen durch staatliche Lenkung beschränkt. Das federführende Bundesamt für Landwirtschaft (LW) versteigert Einfuhrkontingente jeweils für ein Quartal unter den interessierten Fleischimporteuren. Im vergangenen Herbst hatte das jüdische Feinkostgeschäft »Trevor’s« in Zürich dabei alle Konkurrenten ausgestochen: Es sicherte sich für das erste Quartal 2006 das gesamte Koscherfleisch-Kontingent, das auf dem Markt war, etwa 72 Tonnen. Der Preis wurde nicht bekannt.
Daß sich »Trevor’s« alles Koscherfleisch unter den Nagel gerissen hatte, rief sofort die Rabbiner der orthodoxen Gemeinden Zürichs auf den Plan. Denn seit Jahren wird der jüdische Feinkostladen von den Orthodoxen offiziell boykottiert. Der Grund schien weniger religiöser als materieller Art zu sein: »Trevor’s« hatte vor Jahren importiertes Koscherfleisch aus Südafrika verkauft – zu deutlich billigeren Preisen als das Fleisch, das koschere Metzgereien bis dahin angeboten hatten. Mit dem Boykott wollten die orthodoxen Rabbiner Zürichs »Kol Tuv« (»Alles Gute«) offenbar die letzte noch verbliebene Koscher-Metzgerei der Stadt »beschützen«. Kaum verwunderlich in diesem Zusammenhang, daß »Kol Tuv« unter dem Hechscher (Koscher-Zertifikat) dieser Rabbiner steht.
Nach dem Triumph von »Trevor’s« bei der Versteigerung im vergangenen Herbst hielt sich in Zürich hartnäckig ein Gerücht: Der jüdische Feinkostladen habe koscheren Metzgereien in Zürich und in Basel angeboten, ihnen einen Teil des importierten Fleisches zu überlassen, wenn sie sich als Gegenleistung dafür einsetzten, daß der rabbinische Boykott endlich beendet werde. »Trevor’s«-Besitzer Israel Rosengarten, selbst orthodoxer Jude, bestreitet aber entschieden, er habe deswegen das gesamte Kontingent ersteigert. Seine Aktion begründete er gegenüber dem Schweizer Wochenmagazin »tachles« mit einem ganz anderen Argument: Er habe verhindern wollen, daß ein weiteres Mal eine muslimische Metzgerei die Koscherfleisch-Importe an sich reiße.
Zu dieser interreligiösen Wendung im Kampf um das Fleisch war es gegen Ende vergangenen Jahres gekommen – und zwar deswegen, weil jüdische Importeure das Koscherfleisch-Kontingent nicht ausschöpften. Die 220.000 Schweizer Muslime dagegen hatten im Fastenmonat Ramadan – für fleischliche Genüsse nach dem abendlichen Fastenbrechen – mehr Bedarf an geschächtetem Fleisch als die gerade einmal 18.000 Juden in der Schweiz. Also bediente sich die muslimische Metzgerei beim – nicht ausgeschöpften – Koscherfleisch-Kontingent. Das ist prinzipiell möglich, denn eine »religionsbedingte Quotenregelung« beim Fleisch-Import gibt es noch nicht. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), vor 102 Jahren übrigens vor allem gegründet, um das seit 1893 geltende Schächtverbot zu bekämpfen, verhandelt derzeit darüber mit den Behörden. Er will eine Quoten-Regelung erreichen und damit die Versorgung der jüdischen Bevölkerung mit koscherem Fleisch sicherstellen.
Immerhin haben inzwischen »Trevor’s« und die Zürcher Koscher-Metzgerei »Kol Tuv« das Kriegsbeil begraben. »Trevor’s« tritt ein Teil des ersteigerten Fleischkontingentes an »Kol Tuv« und eventuell auch an die Basler Metzgerei ab. Der Zürcher Fleischfriede scheint auch von den orthodoxen Rabbinern abgesegnet zu sein.
Damit ist das Schreckgespenst eines Pessach-Festes ohne koscheres Fleisch gebannt. Mit der Zürcher Einigung können jüdische Konsumenten aufatmen: Sie müs-
sen nicht ins Ausland fahren, um sich dort direkt mit koscherem Fleisch zu versorgen. Doch in grenznahen Gebieten bleibt die Fahrt nach Frankreich oder Deutschland auch dann eine Option, wenn der Schweizer Koscherfleisch-Streit ein für alle Mal ausgestanden ist – denn das importierte Fleisch ist viel teurer als jenseits der Grenzen.
Daß Schächten in der Schweiz in naher Zukunft erlaubt wird, ist nicht zu erwarten: Zu stark ist die Lobby der Tierschutzverbände, zu ausgeprägt die Angst von Juden und Muslimen, bei einer Diskussion über rituelle Schlachtungen antisemitische und fremdenfeindliche Ressentiments zu nähren.