Elie Wiesel

Der Zeuge

von Jutta Wagemann

Elf Jahre lang hatte er geschwiegen. Dann
veröffentlichte Elie Wiesel die Sätze, die zu einer der berühmtesten Passagen der Holocaust-Literatur werden sollten: »Nie werde ich diese Nacht vergessen. Nie werde ich die Flammen vergessen, die meinen Glauben für immer verzehrten. Nie werde ich das vergessen, und wenn ich dazu verurteilt wäre, so lange wie Gott zu leben. Nie.«
Die erste Fassung seines Auschwitz-Berichts erschien 1956 auf Jiddisch mit dem Titel Un di Welt hot geschvign. Für Elie Wiesel ist das Schweigen der Welt während des Holocausts immer unfassbar geblieben. Bis heute engagiert sich der Auschwitz-Überlebende für Verfolgte und Unterdrückte. Am 30. September wird der Friedensnobelpreisträger 80 Jahre alt.
Wiesel wird 1928 in eine fromme jüdische Familie in Sighet im heutigen Rumänien hineingeboren. Das Schtetl bietet für den heranwachsenden Elieser eine Idylle. Doch 1944 besetzen es die Deutschen und deportieren alle Juden. Elie Wiesel kommt mit seinen Eltern und seinen drei Schwestern nach Auschwitz. Seine Mutter, die beiden größeren Mädchen und seine kleine, blond gelockte Schwester Zipora werden sofort von ihm und dem Vater getrennt. Nur die beiden großen Schwestern überleben. Die Ermordung der kleinen Zipora bleibt Elie Wiesels schmerzhafteste Wunde. Zusammen mit seinem Vater überlebt er Auschwitz und den Transport ins KZ Buchenwald. Dort stirbt sein Vater, gut zwei Monate vor der Befreiung. Elie Wiesel schafft es. Seine Erinnerungen an Auschwitz, 1958 schließlich unter dem Titel Die Nacht in Frankreich veröffentlicht, enden mit den Sätzen: »Aus dem Spiegel blickte mich ein Leichnam an. Sein Blick verlässt mich nicht mehr.«
Wie vielen Holocaust-Überlebenden war es Elie Wiesel zunächst unmöglich, über seine Erlebnisse zu sprechen. Doch das Schweigen quälte ihn auch. »Mir war bewusst, dass die Aufgabe der Überlebenden darin besteht, Zeugnis abzulegen«, sagt Wiesel. Aber es fehlten ihm die Worte, um das Unglaubliche auszudrücken. Für sein Buch Die Nacht fand sich zunächst kein Verleger. Heute sind seine Erinnerungen in mehreren Millionen Exemplaren verbreitet und in 30 Sprachen übersetzt.
Im Laufe seines Lebens hat Wiesel 40 Bücher verfasst. Sie kreisen um die Vernichtung der Juden und dabei immer wieder um ein Thema: Wo war Gott? Warum schwieg er? Wiesels Glaube wurde durch Auschwitz radikal verändert. In einem Gespräch mit dem spanischen Widerstandskämpfer und Buchenwald-Überlebenden Jorge Semprún berichtete Wiesel, dass er sich bis 1944 allein von Gott habe leiten lassen. Nach dem Holocaust stellte er Gott infrage. Er verstehe den Holocaust »weder mit noch ohne Gott«, sagte Wiesel.
Gut zehn Jahre nach Kriegsende, 1956, ging Wiesel nach New York, als Auslandskorrespondent der israelischen Zeitung Jedioth Ahronot. 1969 heiratete er eine Holocaust-Überlebende. Drei Jahre später wurde ein Sohn geboren.
Der Journalist reiste um die Welt, berichtete über die vietnamesischen Boat-People, den Eichmann-Prozess in Jerusalem, die Apartheid in Südafrika. Und immer hat Wiesel sich für verfolgte Minderheiten engagiert. 1986 wurde ihm, dem »Botschafter von Menschenwürde und Versöhnung«, der Friedensnobelpreis verliehen. Wo immer Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder Weltanschauung unterdrückt würden, »dort ist in diesem Augenblick der Mittelpunkt des Universums«, sagte er in seiner Rede bei der Preisverleihung in Oslo. Vor zwei Jahren verfasste er mit 20 Kirchenvertretern einen in der New York Times veröffentlichten Aufruf an die US-Regierung, im Kampf gegen den Terror auf Folter zu verzichten.
1972 war Elie Wiesel als Professor für Jüdische Studien an das City College in New York berufen worden. Seit 1976 lehrt er an der Universität Boston Humanwissenschaften. Häufig diskutiert Wiesel mit
jungen Menschen über den Holocaust – immer davon getrieben, »den Stimmen zu lauschen, die aus der meinen schreien, bis ich von meinen Erinnerungen wieder Besitz ergriffen habe, um die Sprache der Menschen mit dem Schweigen der Toten zu vereinen«.

Hamburg

Zehn Monate auf Bewährung nach mutmaßlich antisemitischem Angriff

Die 27-Jährige hatte ein Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft nach einer Vorlesung über antijüdische Gewalt attackiert

 28.04.2025

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025