Herr Graumann, die weltweite Finanzkrise trifft nicht nur Banken und Unternehmen, sondern uns alle. Können auch die jüdischen Gemeinden im Mitleidenschaft gezogen werden?
graumann: Wir Juden leben hier leider doch auch nicht auf der Insel der Glückseligen. Auch auf die jüdischen Gemeinden kann sich die schwierige finanzielle Gesamtlage deshalb auswirken. Da aber viele jüdische Gemeinden gar kein Finanzvermögen haben, trifft sie der Verfall der Aktienwerte zunächst gar nicht. Sie müssen schließlich eher Schulden verwalten. Das ist auch bei meiner Heimatgemeinde Frankfurt am Main so. Bei uns geht es eher darum, eine intelligente Schuldenverwaltung zu praktizieren. Dass unsere Gemeinden oft kein Geldvermögen haben, liegt in Deutschland daran, dass sie strukturell unterfinanziert sind. Und das wiederum resultiert aus dem Umstand, dass nach der Nazi-Beraubung die jüdischen Gemeinden später leider oft nur sehr symbolisch entschädigt wurden.
Die Gemeinden bleiben also verschont?
graumann: Nein, leider denn doch nicht. Die durch die Finanzkrise hervorgerufenen verminderten Steuereinnahmen werden die Gemeinden sicher treffen. Die Finanzkrise wird dazu führen, dass auch jüdische Steuerpflichtige weniger Steuern zahlen. Die Finanzverluste bei jüdischen Steuerzahlern können daher später zu weniger Einnahmen bei der Synagogensteuer führen. Es gibt auch jüdische Fonds, die mit Gemeinden oder Landesverbänden verbunden sind, die möglicherweise durchaus auch Aktien im Bestand haben. Dort muss man wahrscheinlich im Moment leider mit Verlusten leben.
Können sich die Gemeinden auf die zu- gesagten öffentlichen Gelder verlassen?
graumann: Die Verträge ob auf Länderebenen durch die Staatsverträge oder direkt mit einzelnen Gemeinden, werden eingehalten, daran gibt es natürlich überhaupt keinen Zweifel. Das gilt auch für die wichtige Neudotierung des Staatsvertrags zwischen der Bundesregierung und dem Zentralrat, die gerade rechtswirksam wird. Aber neue, zusätzliche Zuschüsse zu bekommen, wird in nächster Zeit eventuell schwieriger werden, da die öffentlichen Haushalte sehr stark und auf vielfältige Weise von der Finanzkrise betroffen sind. Das kann dann dazu führen, dass sie weniger zahlungswillig und weniger zahlungsfähig sind.
Die evangelisch-lutherische Kirche in Oldenburg hatte 4,3 Millionen Euro bei der US-Bank Lehman Brothers angelegt und sie verloren. Kann das dem Zentralrat auch passieren?
graumann: Der Zentralrat selbst hat zwar ein gewisses Finanzvermögen, aber zum Glück überhaupt gar keine Aktien. Dafür haben wir in den vergangenen Jahren gesorgt. Es gab vor einigen Jahren kontroverse Diskussionen über dieses Thema. Ich bin sehr froh, dass wir uns darauf geeinigt haben und der Zentralrat überhaupt keine Aktien in seinen Bestand aufgenommen hat. Diese Linie macht sich jetzt buchstäblich bezahlt. Und schön ist natürlich auch, dass der erwähnte neudotierte Staatsvertrag mit der Bundesregierung nun auch unter Dach und Fach ist. Ich weiß nicht, ob wir das in der jetzigen Situation noch so erreicht hätten. Die Erhöhung der Leistungen von drei auf fünf Millionen ist gesichert und insofern sind wir im Zentralrat in einer ganz guten Lage. Unsere große gemeinsame Herausforderung, jüdisches Leben hierzulande neu zu gestalten, Finanzkrise hin oder her, bleibt jedenfalls krisensicher und hat immer Hochkonjunktur, daran ändert sich gar nichts.
Im Herbst finden viele Charity-Veranstaltungen statt, befürchten Sie einen Einbruch der Spendenfreude?
graumann: Ich wünsche mir natürlich, dass das nicht passiert, aber es ist nicht auszuschließen. Wir sehen es ja jetzt schon bei großen jüdischen Organisationen in den USA, die sehr heftig darunter leiden, dass die Spendeneinnahmen zurückgehen. Man sollte besser damit rechnen, dass die Spendenbereitschaft in dieser Finanzkrise auch in Deutschland sicherlich nicht wachsen wird.
Sie engagieren sich bei Keren Hayesod, Ihre Frau bei der WIZO. Haben Sie schon Anzeichen entdeckt, dass weniger Spenden fließen werden?
graumann: So weit ich weiß, hat sich die Finanzkrise dahingehend bisher noch nicht ausgewirkt. Es gibt gerade von Keren Hayesod sehr viele Veranstaltungen in der nächsten Zeit. Ich hoffe, dass die Einsicht vorherrscht, dass wir mit den Spenden Israel un- terstützen müssen, dass das keine einfachen Almosen sind, sondern eine essenzielle Investition in unsere eigene Zukunft. Die Spendenbereitschaft muss daher weiter intakt bleiben. Diese Einsicht muss bei uns allen wachsen.
Wie kann man die Spender weiterhin motivieren, bei der Stange zu bleiben?
graumann: Indem man ihnen klarmacht, dass es hier nicht nur um reine Wohltätigkeit geht. Wir erweisen doch niemandem damit einen persönlichen Gefallen, wir helfen uns doch nur selbst. Es geht darum, den jüdischen Staat sicher und zukunftssicher zu machen, gerade angesichts von dreisten Bedrohungen seiner Feinde, und insofern muss man gerade in kritischen Zeiten seine eigenen Anstrengungen verdoppeln, ja vervielfachen.
Jüdische Bildungseinrichtungen – Kindergärten und Schulen – werden von der öf- fentlichen Hand und den Gemeinden fi- nanziert sowie von gemeinnützigen Or- ganisationen wie Lauder und Chabad, die ihrerseits von Spenden abhängig sind. Wird sich die Finanzkrise hier auswirken?
graumann: : Wir sollten jetzt nicht in Hysterie verfallen, die bestehenden Zusagen von öffentlichen Mitteln haben natürlich weiter Bestand. Wir müssen uns auch mal anschauen, wie hoch denn die Zuschüsse für die jüdische Gemeinschaft im Maßstab der Bundesrepublik überhaupt sind. Es handelt sich hier denn doch um bescheidene Dimensionen, die für dieses Land allemal verkraftbar sind. Für unsere jüdische Bildung, unsere Zukunft, für unsere jungen Menschen müssen wir selbst immer weiter kämpfen. Und das tun wir auch gemeinsam mit Herz und Leidenschaft. Schwierige Zeiten, die gemeinnützige Organisationen durchaus treffen mögen, müssen für uns alle doch nur Anlass sein, das, was uns möglicherweise an Finanzmitteln fehlt, durch noch mehr persönliches Engagement zu überbieten.
Mit dem Vizepräsidenten des Zentralrats sprach Heide Sobotka