von Elke Wittich
Die Vorschriften sind eindeutig: Zehn religionsmündige Männer müssen anwesend sein, damit ein Gottesdienst stattfinden kann. Diese Mindestzahl zu erreichen, ist nicht immer leicht, vor allem während der Woche, wenn Berufstätige keine Zeit haben, in die Synagoge zu gehen.
Erlaubt ist es allerdings, Beter für ihre Anwesenheit zu bezahlen. Nun ist Geld jedoch ein Thema, über das niemand gern spricht. Shoshana Rosèn, in Israel geborene Düsseldorferin, findet ein solches Tabu im Zusammenhang mit bezahlten Gottesdienstbesuchern jedoch ausgesprochenen Quatsch. »Man muss das jüdische Leben in Deutschland ganz realistisch sehen«, sagt die pensionierte Schulleiterin und Religionslehrerin. »Das gesellschaftliche Umfeld ist nicht koscher, es ist nicht religiös, wie soll man denn die Menschen sonst zum religiösen Leben bekommen, wenn man nicht Anreize bietet?«
Rambam, der große jüdische Gelehrte des Mittelalters, sage, man müsse die Menschen für ihre Taten belohnen. Wer einen festen Betrag bekomme, um am Gottesdienst teilzunehmen, »der vertieft seine Kenntnisse über die jüdische Religion, die Liturgie und erlebt etwas ganz Wichtiges: die Gemeinschaft«. Aber ist das nicht am Ende bezahlte Heuchelei?
»Haschem kann in die Seele schauen, wir nur in die Augen«, sagt Rosèn, »vielleicht ist es anfangs ja Heuchelei, na und? Keine Tat ist frei von egoistischen Motiven. Irgendwann würde dem Beter dann aber etwas fehlen, wenn er nicht zum Gottesdienst geht.«
»Wir schaffen es in unserer Hauptsynagoge ohne bezahlte Minjanim«, berichtet der Münchener Rabbiner Steven Langnas. Grundsätzlich sehe er den Vorteil bezahlter Beter sehr wohl, da man sich eben immer sicher sein könne, einen Minjan zu haben. Die psychologische Wirkung beurteile er allerdings »eher negativ«, denn so spürten die Leute es doch sehr viel weniger, dass sie ja eigentlich eine Pflicht haben, in die Synagoge zu gehen. »Es ist doch so: Beter, die ab und zu das Kaddisch sagen müssen, sind sicher böse, wenn sie in die Synagoge kommen und es an dem Tag keinen Minjan gäbe, – aber sie kommen ja selber auch nicht regelmäßig.« Und so hat man in München auch keine offizielle Liste mit Männern, die man im Notfall anrufen könnte, sondern setzt auf Überzeugungsarbeit. Um den Zuwanderern unter den 9.000 Gemeindemitgliedern die Sache zu erleichtern, biete man Vorträge und Workshops auch in russischer Sprache an. Und wie in vielen anderen Gemeinden sagt der Rabbiner während des Gottesdienstes die Seitenzahlen im Gebetbuch auch auf Russisch an. »Ich würde gern viel mehr Russisch lernen«, sagt Langnas seufzend.
Natürlich sei es manchmal schwer, genügend Beter zu versammeln, gibt Rabbiner Shlomo Bistritzky aus Hamburg zu. Statt auf regelmäßige Bezahlung setzt man im hohen Norden auf moderne Technik: Per SMS wird an Gottesdiensttermine erinnert, und »für den Notfall gibt es eine Liste mit Leuten, die wir anrufen könnten«. Von bezahltem Minjanim hält Rabbiner Bistritzky jedoch nicht sehr viel. »Es ist zwar erlaubt, aber man muss sich schon fragen, was man dafür bekommt.« Der Lubawitscher Rabbiner favorisiert eine andere Lösung: »Es wäre eine gute Idee, einen Verein zu gründen, der sich darum kümmert, dass diejenigen, die etwas für die Gemeinde tun, etwas dafür bekommen.« Bespielsweise seien dies Monatskarten für den öffentlichen Nahverkehr. »Tickets sind nicht billig, und da haben die Leute auch entsprechend viel davon.«
Bezahlte Minjanim seien eine »schwierige Sache«, findet auch Hagay Feldheim, zweiter Vorsitzender der Gemeinde in Hagen. Der gebürtige Israeli, der seit 17 Jahren in Deutschland lebt, findet bezahlte Beter als Notlösung akzeptabel, korrigiert sich dann aber schnell: »als Zwischenlösung, während man die Leute motiviert und aktiviert«. Man müsse halt den Gottesdienst so klar, transparent und attraktiv machen, dass die Gemeindemitglieder aus eigener Inititative kommen. Denn durch Zahlungen komme »eine gewisse Kälte hinein, wenn jemand Geldprobleme hat, dann sollte die Gemeinschaft auf jeden Fall helfen. Aber Gottesdienstbesuche gegen Bezahlung finde ich einfach nicht so ideal. Auch wenn es natürlich kein Verbot im halachischen Sinne gibt. Im Schwäbischen würde man sagen: ›Die Sache hat ein Geschmäckle.‹«
Die Gemeinde in Hagen ist zwar mit 300 Mitgliedern eher klein, dafür flächenmäßig groß: Ihr Einzugsgebiet erstreckt sich bis nach Olpe, Siegen, Lüdenscheid, entsprechend lange Fahrwege müssen dort lebende Juden in Kauf nehmen, um zur Synagoge zu kommen. »Manche brauchen allein eine Stunde für den Hinweg«, erklärt Feldheim, »und das ist natürlich eine ganze Menge Zeit.« In Hagen wird daher Fahrgeld bezahlt, »eine symbolische Summe, natürlich in Übereinstimmung mit den deutschen Sozialgesetzen«.
Diesen Zuschuss gibt es für Gottesdienstbesucher in Hagen jedoch nicht erst seit Beginn der Zuwanderung, wie Feldheim erklärt: »Damals, als wir nur ganz wenige Mitglieder hatten, wollten wir eine kleine Beihilfe bieten. Aber von den damaligen Jeckes haben die meisten dieses Angebot nicht angenommen.«
Bei der Jüdischen Gemeinde zu Berlin geht man sehr offen mit dem Thema »bezahlte Beter« um. Sieben Beter bekommen in der Hauptstadt Geld für ihre Unterstützung. Zwei sind schon ganz lange dabei. »Die kenne ich schon seit 1980«, sagt Judith Lan von der Kultusabteilung. Zusammen mit fünf Zuwanderern gehen die Männer hauptsächlich zu den täglichen Gottesdiensten in den orthodoxen Synagogen.
Über die genaue Höhe der Zuwendung möchte Lan nichts sagen. »Eine Monatskarte für U- und S-Bahnen wäre sicher teurer«, bemerkt sie dann doch. »Es geht ja eher um ein Stückchen Soziales für diese Personen, die sich dann vielleicht mal ein schönes Schabbesessen leisten können.«
Einfach so einem Minjanmann ein paar Euro in die Hand zu drücken, ginge jedoch keinesfalls, erklärt Lan. Die Jüdische Ge- meinde zu Berlin muss als Körperschaft des Öffentlichen Rechts zum einen alle Ausgaben penibel dokumentieren. Zum anderen dürfen weder Rentner noch Bezieher von Hartz IV einfach so dazuverdienen. Ansonsten könnte der Verlust von Leistungen drohen. Die Zuwendungen an die bezahlten Beter werden entsprechend versteuert: »Wir lassen uns auch die Steuerkarten zeigen.«