kiddusch

Der wasserfeste Mascara

Sammy hat seinen Schnuller verlegt – und das ausgerechnet am Tag seiner Brit! Natürlich begebe ich mich sofort zur nächsten Apotheke, um Ersatz zu besorgen, denn ohne seinen Schnulzi wird Sammy diesen Tag nur schwer überstehen.
Auf dem Rückweg pralle ich mit Rabbi P. zusammen, der mit einer riesigen schwarzen Aktentasche voller verschreibungspflichtiger Medikamente und Betäubungsmittel für Sammy angerückt ist, um seine Brit für ihn etwas angenehmer zu gestalten.
In meiner Wohnung empfängt uns bereits markerschütterndes Babygeschrei. Ich versuche, Sammy und seine Zwillingsschwester zu orten – schwierig, wie sich heraustellt, denn meine Wohnung ist vollgestapelt mit kalten Fleischplatten, Salatschüsseln und mehreren überdimensionierten Soja-Sahnetorten. »Was ist denn hier los?!«, kreische ich. Mein Mann klärt mich auf, dass der Caterer kurzerhand das kalte Kidduschbuffet bei uns abgeladen hat, denn der Synagogensaal ist abgeschlossen und Schmuli, der Schammes, mit dem Schlüssel nirgendwo zu finden, auch telefonisch sei er nicht erreichbar.
Ich erwäge, Rabbi P. zu fragen, ob er in seiner Doktortasche auch ein Valium für mich hat, oder zu meinem Nachbarn zu gehen, dem stadtbekannten Alkoholiker, und mir dort einen starken Whisky hinter die Binde zu kippen. Aber dazu kommt es nicht, denn Rabbi P. hat, wie sich herausstellt, einen Ersatzschlüssel für den Hintereingang.
Noch eine Stunde bis zum Beginn der Zeremonie. Mein Mann und der Rabbi klauben also hastig alles Essbare zusammen und schieben ab in die Synagoge, ich bleibe mit den Zwillingen und dem Rest meiner Familie zurück.
Mein Vater zappt sich durch die Fernsehkanäle und meckert, dass er kein DSF reinkriegt. Meine Mutter brät in der Küche noch schnell ein paar Schnitzel an, damit mein Vater G’tt behüte nicht ohne einen kleinen Imbiss das Haus verlässt. Mein Bruder, der Mediziner, erklärt mir noch einmal genüsslich die Feinheiten und Gefahren des Eingriffs. Ich hör nicht hin.
Eine Stunde später haben wir es dann irgendwie doch zur Synagoge geschafft – mit nur einer halben Stunde Verspätung. Alains Familie aus Antwerpen ist schon eingetrudelt und hat sich mit grimmigen Mienen vor dem Buffet postiert, falls sich jemand noch vor der Zeremonie an die Pastrami-Platten ranmachen will. Mein Vater steht mit einem Grüppchen der örtlichen Rabbiner zusammen und tauscht Beschneidungsanekdoten aus.
Rabbi P. bahnt sich einen Weg durch die Menge und balanciert auf einer Hand ein riesiges graues Plastiktablett. Was hätte der Mann für einen fantastischen Oberkellner abgegeben, denke ich. Da bemerke ich, dass auf dem Tablett links und rechts kleine schwarze Gurte angebracht sind, Gurte zum Festschnallen von kleinen Babybeinchen, die verzeifelt strampeln … Mir wird schlecht. Ich sacke im Synagogenvorraum in mich zusammen und bekomme den Rest der Brit nur noch durch einen Tränenschleier mit. Sammy wird irgendwann, als alles überstanden ist, auf seinem Serviertablett aus der Synagoge rausgebracht und mir in die Arme gedrückt. Den Kiddusch erlebe ich nur bruchstückhaft.
Meine Mutter bringt mir ein Tablett mit Petits Fours (nur die rosafarbenen, die ich am liebsten mag), die sie unter Ellenbogeneinsatz am Buffet ergattert hat. Alains Antwerpener Kumpels stehen – Hühnerbeinchen und Fleischspießchen in der Hand – zusammen und fachsimpeln über die Schnitttechnik des Mohels.
Die WIZO-Damen sind auch schon angerückt und belagern mit ihren Brotkörbchen mit Geldscheinen drin den Synagogenausgang, um die Kidduschgäste abzu- fangen. Einige sehr große Straußenfederhüte sowie die gesamte Dior- und Gucci- Sommerkollektion sind auf Stilettoabsätzen aus Antwerpen angereist und haben riesige zellophanglitzernde Geschenke für Sammy dagelassen.
Ein Fotograf pflanzt sich vor uns auf und macht ein paar Schnappschüsse: Sammy mit glasigen Augen, weil er am Kidduschbecher genippt hat, mein Mann Alain mit rotgeheulter Nase, mein Vater und mein Bruder, beide ziemlich grün im Gesicht, meine Mutter, die glücklicherweise für heute den wasserfesten Mascara genommen hat, und ich, die ich leider nicht so klug war. Margalit Berger

Kultur

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