EILMELDUNG! Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu

Israel Tal

Der Vermittler

von Johannes Boie

Georg, sagt er, sei ein schönes Beispiel. Israel Tal sitzt hinter seinem weißen Laptop im Café Hillel am Rothschild Boulevard im Herzen Tel Avivs. »Ich löse das Arbeitsmarktproblem in Deutschland«, sagt Tal. Und zwar von hier aus, mit Telefon und Laptop. Einen kurzen Moment ist man geneigt, dem Mann den Verstand abzusprechen – vielleicht ist auch die Hitze schuld, es ist Sommer in Israel, mehr als 30 Grad. Aber dann legt Tal richtig los. Und erzählt von Georg, dem Beispiel.
»Er kam aus Kasachstan nach Deutschland, irgendwann Anfang der Neunziger.« Der Immigrant hielt sich mit Nebenjobs über Wasser. Irgendwann entdeckte Georg eine Anzeige auf einer Website für Exilrussen in Deutschland: »Biete Arbeit« stand da – und eine E-Mail-Adresse. Die Adresse gehört Israel Tal, der in Tel Aviv vor seinem Laptop sitzt. Er liest Gregors Antwort auf das Inserat und ruft ihn an. »Ich habe einen Arbeitsplatz in Holland für dich«, sagt er. Gregor fühlt sich in guten Händen, denn Tal ist einer wie er: ein Einwanderer. Tals Eltern sind aus Rußland ausgewandert, da war Israel gerade 17 Jahre alt und hatte einen anderen Namen. Er mußte ein fremdes Land zur Heimat machen, eine fremde Sprache lernen – genau wie Georg.
Aber anders als der deutsche Hilfsarbeiter lernt Israel Tal in der neuen Heimat weiter. Sein Vater war in Rußland Manager im Flugzeugbau gewesen, seine Mutter hatte als Ökonomin gearbeitet. In Israel sind ihre neuen Jobs nicht annähernd so gut – die Eltern sprechen kein Hebräisch. Der Sohn sieht, wie seine Eltern leiden: »Wenn du die Sprache nicht kannst, endest du als Erdbeerpflücker«, sagt er. Er will alles besser machen, will nicht arbeitslos werden, wie einige seiner immigrierten Landsleute. Wenn er es schaffen will, muß er viel lernen. Israel Tal studiert Linguistik: »Sieht so aus als wäre ich ein Sprachtalent.«
Heute spricht er neben Hebräisch und Russisch auch Arabisch, Holländisch, Englisch und ein bißchen Deutsch. Nachts arbeitete er in Hotels an der Rezeption, tagsüber lernte er an der Universität für seinen Bachelorabschluß. »Das war kein Spaß«, erinnert er sich an die schlaflose Zeit. Wie alle Israelis dient er nach der Universität drei Jahre in der Armee. Kurz danach fällt ihm etwas auf. »Überall auf der Welt gibt es Jobs, die niemand machen will. In Israel versorgen zum Beispiel Filipinos die Alten und Araber bauen Straßen.« Aus dieser banalen Beobachtung entwickelt Tal seine Geschäftsidee. Er beginnt, Russen, Mongolen und Filipinos nach Israel zu vermitteln, hilft bei komplizierten Formularen weiter und lernt, wo er anrufen muß, um »seine Leute« ins Land zu bringen. Als Gegenleistung bezahlen ihm die Firmen, für die die ausländischen Kräfte arbeiten, einen Prozentsatz vom Gehalt des neuen Arbeiters. Das Geschäft begann gerade zu laufen, als die Politik dazwischenkam. »Leider hat die israelische Regierung die Visavergabe sehr bald stark eingeschränkt.«
Doch in einem anderen Teil der Welt rücken gerade ein paar Staaten näher zusammen. Tal bemerkt, daß Europa nach der EU-Osterweiterung ein gigantischer Markt für ihn ist. Er stürzt sich in die Arbeit. »Man muß die Details kennen, die Arbeitsvorschriften der einzelnen EU-Länder.«
Einer seiner ersten »Fälle« ist Georg. Er vermittelt ihn als Straßenarbeiter für eine niederländische Firma nach Belgien. Dort schläft Georg in einem Camp für Fremdarbeiter, verdient cirka acht Euro in der Stunde. Sein Arbeitsvertrag gilt für eine Saison, danach wird er nach Kassel zurückkehren und schauen, ob Tal ein neues Inserat geschaltet hat. Viel mehr als den Namen und ein paar Daten weiß der Israeli nicht über den Rußlanddeutschen. »Ich muß die Leute nicht kennen«, sagt Tal lachend. »Ich will sie nur vermitteln.« Für ihn ist die menschliche Arbeitskraft ein Gut wie für einen Börsenmakler Gold oder Kakao. Es gibt den Weltmarkt, Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. »Letztes Jahr waren in Großbritannien LKW-Fahrer gefragt«, erklärt er, »da konnte man für einen Fahrer richtig viel verlangen.« Gefragt seien vor allem Maurer und andere Handwerker. Je qualifizierter die Kräfte, desto besser. »Wir bauen Straßen in Belgien und Schiffe in Holland«, sagt Tal stolz. Es klingt ein wenig, als asphaltiere er die belgischen Straßen höchstpersönlich.
Wer gar nichts gelernt habe, der »pflückt halt Erdbeeren.« Die Metapher ist für den jungen Geschäftsmann das, was er selbst nicht machen will, was ihm als Zuwanderer gedroht hat. Es symbolisiert den Abgrund, in den jeder fallen kann, der »es nicht schafft.« Deshalb macht es Israel Tal soviel Spaß, auf der anderen Seite zu sein: als derjenige, der den Erdbeerpflückern dieser Welt hilft, sie dirigiert und an ihrer Arbeit mitverdient. Je mehr möglichst gut bezahlte Menschen in Europa durch ihn vermittelt werden, desto mehr Geld fließt auf sein israelisches Konto.
Die finanzielle Abhängigkeit von europäischen Arbeitern hat Tals gnadenlos rationale Sicht geprägt. Sie mündet bisweilen in deutlichen Aussagen: »Ostdeutsche sind fauler als Westdeutsche und Portugiesen sind am faulsten in Europa.« Das seien Erfahrungswerte, sagt Tal. Mit Zahlen belegbar und für jeden offensichtlich. »Mein Geschäft erlaubt keine Political Correctness. Ich brauche Leute, die ranklotzen.« Persönlich halte er übrigens auch Israelis für faul.
Wie die Foren heißen, in denen er seine Anzeigen plaziert, mit welchen privaten deutschen Arbeitsmarkt-Agenturen er zusammenarbeitet – all das verrät Tal bereitwillig. »Der Markt ist gigantisch«, sagt er. »Es gibt Platz für viele Arbeitsvermittler. Ich brauche nur wenige Prozent des Gesamtmarkts, um genug zu verdienen. Natürlich schalten auch viele Firmen Anzeigen ohne Mittelsmann, aber mit außerge- wöhnlichen Sprachkenntnissen und Einblick in die Arbeitsweise der Behörden ist man als Vermittler sehr gefragt.« Nur über sein eigenes Gehalt redet Tal ungern. »Das könnte die Preise für meine Dienstleistung nach unten treiben.«
Im Jahr 2006, so scheint es, ist menschliche Arbeitskraft endgültig zum globalen Produkt geworden: verfügbar, vermittelbar und vor allem günstig. Auch Tal kann sitzen wo er will. Sein Telefon und sein Computer reichen ihm als Arbeitsgerät aus. »Schickt mich nach Alaska, dort kann ich genauso arbeiten«, sagt er und fügt nachdenklich hinzu: »Noch vor zehn Jahren wäre meine Arbeit nicht möglich gewesen. Weder in technischer Hinsicht ohne das Internet, noch in politischer Hinsicht ohne die Osterweiterung der EU und die fortschreitende Globalisierung.«
Tal denkt darüber nach, seine Firma auszubauen, ein Büro in Deutschland oder Holland zu eröffnen. Manchmal, sagt er, kann es nicht schaden dort zu sein, wo der Markt ist. Mal schauen, was all die Erdbeerpflücker da draußen machen.

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