von Peter Bollag
Der Stock, auf den sich der letzte Thronfolger der österreichisch-ungarischen k. u. k. Monarchie stützt, wirkt wie ein Fremdkörper. Denn ansonsten ist »Dr. Habsburg«, wie er sich selbst gerne nennt, so agil wie eh und je. Obwohl er kürzlich seinen 95. Geburtstag feierte. Wer Otto von Habsburg in seinem Haus unweit des Starnberger Sees besucht, wird rasch in ein ausführliches Gespräch über die Weltlage verwickelt. Unverblümt sagt der alte Herr auch, was er von der westlichen Politik gegenüber Russlands Noch-Staatschef Wladimir Putin hält: gar nichts. »Wenn Sie einem Diktator auch nur einen Fußbreit nachgeben, wird er dreist. Da hat sich seit Hitler wenig geändert.«
Mit dem deutschen Diktator musste sich Otto von Habsburg schon früh im Leben auseinandersetzen. Er studierte in Berlin Agrarwissenschaften, da wollte der ehemalige deutsche Kronprinz August Wilhelm, ältester Sohn Wilhelms II. und Nazi-Sympathisant in SA-Uniform, eine Begegnung zwi- schen Habsburg und Hitler vermitteln. Das war 1932. Otto wollte zuerst darauf eingehen, sah aber dann davon ab. »Ich hatte in einer ruhigen Minute erkannt, dass Hitler mich nur als Steigbügelhalter benutzen wollte, um in bürgerlichen Kreisen gesellschaftsfähig zu werden.« Dass er ihn damals – anders als den Reichspräsidenten Hindenburg – nicht getroffen hat, habe er nie bereut, auch wenn dies die Flucht durch halb Europa zur Folge hatte. Anderen Diktatoren wie Franco, Salazar oder Mussolini begegnete Habsburg zwar persönlich. Aber das habe – zumindest im Fall der beiden iberischen »Caudillos« – auch damit zu tun, dass die sich bis zuletzt geweigert hätten, »ihre Juden« an die Nazis auszuliefern.
Von »unseren Juden« spricht der 1912 in Budapest Geborene, wenn er von den ehemaligen Regionen der Doppelmonarchie erzählt, von Galizien oder der Bukowina, die er kürzlich besucht hat: »Die sind noch so österreichisch dort, wie man sich das hier gar nicht mehr vorstellen kann.« Nur eben das jüdische Element, das gäbe es nicht mehr oder müsste künstlich belebt werden.
»Unsere Juden« im Gegensatz zu den fremden: Diesen feinen Unterschied macht Otto von Habsburg auch, wenn er über seinen Vater, den letzten österreichisch-ungarischen Kaiser Karl spricht. Der trat 1916 die Nachfolge des fast 70 Jahre lang regierenden Franz Josef an. Und verzichtete nach der Niederlage von 1918 nicht ganz freiwillig auf den Thron. In jenem Winter 1918/19 bekam die Familie Besuch von einem Offizier. Der habe im Verlauf der Visite begonnen, über die Juden zu schimpfen. »Da habe ich eines der wenigen Male gesehen, wie mein Vater ernsthaft böse wurde.« Brüsk habe er den Offizier verabschiedet. Für »unsere Juden«, so Otto von Habsburg, habe sich sein Vater vehement eingesetzt.
Die Symbiose zwischen Habsburg und seinen jüdischen Untertanen war bis zuletzt sehr stark. Nirgendwo findet man in den Gebetsbüchern solche Hymnen (oft auf Deutsch und Hebräisch) auf die Regierenden wie in der Donaumonarchie – ein Beweis für die Kaisertreue auch orthodoxer Juden jener Zeit. Umso mehr irritierte vor einigen Jahren die Äußerung Ottos, als er seinem Sohn Karl – wie er selbst jahrelang Abgeordneter der Konservativen im Europaparlament – nach einem Spendenskandal mit den Worten zu Hilfe eilte: »Karl wird angegriffen, weil er den gelben Stern trägt, den Namen Habsburg.« Auch Freunde des langjährigen CSU-Mitglieds konnten da nur den Kopf schütteln.
Das ist Vergangenheit. Ebenso wie Otto die Folgen eines Autounfalls und einer schweren Lungenentzündung überwunden hat, ist er längst wieder eine respektierte Persönlichkeit und ein gefragter Interviewpartner. Freilich einer, der dazu tendiert, die Gefahren von Rechts nicht allzu ernst zu nehmen. »Wirre Zeitgenossen wie die ungarischen Faschisten, die jetzt wieder in diesen Uniformen herumlaufen, gibt es in allen Ländern und zu jeder Zeit.« Äußerst kritisch hingegen ist Otto von Habsburgs Blick gen Russland: »Unter dem Deckmantel des Kampfs gegen die ›Oligarchen‹ wie Beresowski oder Chodorkowski breitet sich der alte Antisemitismus wieder aus. Und der ist genauso gefährlich wie früher.«