Libanon

Der Traum von der Vernichtung Israels

von Bruno Schirra

Zeinab ist tot, erzählt Khaled Fakhoury. Und wie er dies sagt, schwingt um seinen Mund ein leises Lächeln, sanft, fast glücklich, und seine Augen strahlen. »Zeinab ist in unserem Heiligen Krieg gegen die Juden zur Märtyrerin geworden,« schwärmt Khaled. Auf die Frage, ob er nicht Schmerz oder Trauer über ihren Tod verspüre, schüttelt er heftig den Kopf. »Sie hat ihren Tod im Kampf für Allah herbeigesehnt, so wie wir uns alle wünschen, im Kampf für Allah als Märtyrer zu sterben, denn wir lieben den Tod so sehr, wie ihr das Leben liebt.« Dann erzählt Khaled, daß sich Zeinab vier Tage zuvor, zusammen mit zwei Männern und einer Freundin, auf ihren Weg von Beirut in den Süden des Libanons gemacht hatte. Die Männer wollten dort kämpfen, die Frauen sich vorbereiten. »Zeinab wollte das durchführen, was ihre schiitischen Schwestern ihr schon vor zwanzig Jahren so glorreich vorgeführt hatten. Sie plante eine Märtyrer-Aktion gegen die zionistische Armee,« erklärt Khaled. Und in diesem Moment schwingt tatsächlich so etwas wie Bedauern, gar Trauer in seiner Stimme mit. Trauer darüber, daß Zeinab, bevor sie als lebende Bombe so viele israelische Soldaten wie möglich zerfetzen konnte, zusammen mit ihren Begleitern nahe der libanesischen Stadt Tyrus von einer israelischen Bombe getötet wurde. Die Trauer des Khaled Fakhoury erklärt sich daraus, daß die 23 Jahre alte Zeinab ihrer eigentlichen Bestimmung als Selbstmordbomberin nicht gerecht werden konnte.
Ein Jahr zuvor war Zeinab dem Reporter von der schiitischen Hisbollah zusammen mit ihrer gleichaltrigen Freundin Amale und Khaled Fakhoury als Dolmetscherin und Führerin zur Seite gestellt worden. Daran muß ich denken, als ich nun inmitten der Trümmer rund um den zerbombten Stützpunkt der UNIFIL-Truppen bei Khiyam im libanesisch-israelischen Grenzgebiet stehe, während Khaled Fakhoury mir erzählt, wie sehr er es Zeinab gewünscht habe, so viele Juden wie möglich zu töten. »Die Juden sind die Verderber der ganzen Menschheit«, darauf hatte Zeinab immer wieder beharrt. »Sie haben heilige islamische Erde im Libanon und in Palästina besetzt, deswegen müssen sie mit Krieg bekämpft werden.«
Der Krieg, den Zeinab sich so sehr herbeigesehnt hatte, dieser Krieg tobt ein Jahr später nun schon an seinem 18. Tag, als Khaled vom Streben Zeinabs erzählt und in Träumen von der Zukunft schwelgt. »Das ist der Anfang vom Ende des zionistischen Gebildes. Zum ersten Mal erleben die Juden, wie es ist, wenn sie in ihren eigenen Häusern angegriffen und von dort vertrieben werden. Zum ersten Mal werden sie in Massen aus ihren Häusern von unseren Raketen vertrieben. Jetzt wissen auch die Juden zum ersten Mal, was es bedeutet, Flüchtling zu sein. Nun wissen sie, wie es ist, wenn ihre Kinder, ihre Frauen von unseren Raketen getötet werden.«
Von Süden her, von Israel, dröhnen die Motoren israelischer Kampfhubschrauber, die die Raketen- und Katjuscha-Stellungen der Hisbollah im Süden des Libanons bombardieren sollen. Tag und Nacht fliegt die israelische Luftwaffe ihre Angriffe gegen die Stellungen der Hisbollah, und Khaled Fakhoury ist sich sehr genau bewußt, daß dies ein Krieg ist, den Israel militärisch zwar gewinnen kann, um dann politisch zumindest in der arabischen Welt als Verlierer dazustehen. Denn gegen die immerwährenden Bilder getöteter libanesischer Kinder, Männer, Frauen, Zivilisten, die Tag für Tag in einer Endlosschleife zur besten Sendezeit über die westlichen Fernsehbildschirme laufen, verblassen die Bilder israelischer Zivilisten, die seit Wochen unter dem Feuer der Hisbollah-Raketen stehen und so im eigenen Land zu Flüchtlingen werden. Jedes tote libanesische Kind, das weiß Khaled, ist eine politische Niederlage für Israel, denn das sind die Bilder, die im westlichen Bewußtsein das Wesen dieses Krieges bestimmen. Und so kommt es, daß die Hisbollah nach dem israelischen Beschuß eines Wohnblocks in Kana den eilends herbeigeeilten internationalen TV-Kameras all die toten Kinder in die Kameraobjektive reckt. Da geht es unter, daß die Hisbollah über Stunden den immer gleichen Hisbollah-Aktivisten dasselbe tote Kind den westlichen Medien präsentieren läßt: als ein weiteres Kind, das von Israel ermordet worden sei. So kommt es, daß aus 28 getöteten libanesischen Menschen mindestens 68 werden. 68 tote libanesische Zivilisten – die Zahl steht nun für ein weiteres »in der unsäglichen Reihe israelischer Massaker an unschuldigen Libanesen«. So erklärt das Khaled Fakhoury – und er klingt mehr als nur befriedigt dabei. Daß aus dem zivilen Wohnhaus heraus, wie aus so vielen anderen auch, die Hisbollah ihre Tod und Vernichtung bringenden Raketen nach Israel in zivile Wohngebiete jagt, geht dabei unter: zu allererst im europäischen Bewußtsein. Glaubt man demoskopischen Befragungen, halten 77 Prozent der Deutschen Israel für den wahren Schuldigen dieses erneuten Krieges und verlangen einen sofortigen Waffenstillstand – auch wenn die Hisbollah weiter bombt und Haifa, Naharija und Kirjat Schmona unter Raketenfeuer hält.
Khaled kennt diese Zahlen und freut sich über sie. Denn er kennt die Deutschen und mag sie sehr, er hat lange Jahre unter ihnen gelebt. Jetzt ist Khaled ein 31 Jahre alter Kommandeur der Hisbollah. Noch einer nur aus der zweiten Reihe, der vor dem Krieg als eine Art Religions-Politkommissar der schiitischen Terrororganisation gearbeitet hat. Aber nun kämpft er als Kommandeur der Hisbollah gegen Zahal und gegen die israelische Zivilbevölkerung und macht daraus auch kein Hehl. Ganz in Zivil gekleidet, erklärt er die Strategie der Hisbollah. »Natürlich kämpfen wir aus der Mitte der schiitischen Bevölkerung heraus gegen die Juden, und natürlich haben wir jedes Recht, unsere Waffen gegen die einzusetzten, die du israelische Zivilisten nennst. Ich kenne keine israelischen Zivilisten. Jetzt sind ihre Kinder klein. Morgen werden sie ihre Soldaten sein. Was du israelische Zivilisten nennst, sind in Wirklichkeit israelische Soldaten, Männer wie Frauen, denn sie sind Reservisten ihrer Armee. Also sind sie legitime Ziele, auch wenn sie keine Uniform tragen.«
Dann führt Khaled durch die Ruinen des UNIFIL-Stützpunkts, um die ganze »Barbarei der israelischen Kriegführung« zu demonstrieren. »Sie sind Kriegsverbrecher, sie achten noch nicht einmal die Soldaten der UNO«, sagt er, als wisse er nicht mehr, was er zusammen mit Zeinab und Amale dem Reporter vor einem Jahr so stolz präsentiert hatte.
Blick zurück in den Sommer 2005. Die Zedernrevolution hat, so scheint es, den Libanon endgültig aus syrischer Gefangenschaft befreit. Die Besatzungsarmee Syriens hat nach der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Al-Hariri und den dann folgenden Massendemonstrationen libanesischer Christen wie Sunniten alle Besatzungssoldaten aus dem Libanon abziehen müssen. Was wie der Beginn einer glücklichen Demokratisierung des Zedernstaats wirkte, entpuppt sich seit dem 12. Juli dieses Jahres letztendlich nur als Vorspiel der libanesischen Kriegstragödie. Denn Syrien hinterließ im Libanon mehr als 5.000 Geheimdienstmitarbeiter, die an den Schaltstellen der Macht, vor allem aber im schiitischen Süden Beiruts wie im Süden des Landes im Hintergrund die Fäden zogen. Unzählige Raketensysteme, von Katjuschas bis hin zu Raketen mit einer Reichweite von 350 Kilometer, lieferte die Islamische Republik Iran via Syrien und unter Hilfe syrischer Geheimdienste der schiitischen Terrororganisation. Instrukteure der Revolutionären Garden des Iran bildeten die Hisbollah-Terroristen aus. Das Ziel Teherans: Die Hisbollah vom libanesischen Territorium aus einen Stellvertreterkrieg gegen den verhaßten jüdischen Staat führen zu lassen. Das Konzept geht auf. Den Preis zahlen die Menschen im Libanon, ebenso wie die in Israel.
Aber das war in jenem Sommer 2005 für Zeinab, Amale und Khaled nur ein Traum, ihr »Traum von der Vernichtung Israels«. Der schien ihnen vor zwölf Monaten noch unerfüllbar. Um so stolzer präsentierten sie ihre schon damals vorhandene militärische Stärke, führten von Tyros über Kana entlang durch die Dörfer des schiitischen Südens und zeigten ganz unbefangen und offen, wie gut die Hisbollah schon damals gerüstet war.
So auch in Kkiyam. Im Umkreis von 100 bis zu 400 Metern hatte die islamistische Hisbollah im vergangenen Jahr rund um den Beobachtungsposten der UNO-Blauhelme dutzende Militärstellungen eingerichtet. Unterirdische Bunkeranlagen, befestigte Schützengräben, gut abgesicherte Stellungen, in die binnen Minuten mobile Raketensysteme installiert und von dort aus in Richtung Israel abgeschossen werden können. Mit Kalaschnikows, schweren Maschinengewehren und RPG-Raketenwerfern ausgerüstete Hisbollah-Kämpfer patrouillierten in Sichtweite der UNIFIL-Soldaten. Ganz in Zivil.
Mit einem ohnmächtigen Mandat durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York zur Untätigkeit verdammt, blieb den UNIFIL-Soldaten nichts anderes übrig als lediglich zuzuschauen, wie die Hisbollah Tag für Tag die UN-Resolution 1559 von 2004 ignorierte. Die Resolution fordert sofortige und vollständige Entwaffnung der Hisbollah. Mit Hilfe des Irans und Syriens rüstet die Hisbollah hingegen auf.
Khaled hatte sich angesichts der
UNIFIL-Soldaten amüsiert: »Zahnlose Hunde, die noch nicht mal bellen können. Wenn es zum Krieg kommt, sitzen sie mitten unter uns und können zuschauen.« Ähnlich sah das in diesem Sommer ein UNIFIL-Beobachter. »Die Hisbollah verschwindet wie ein Fisch im Wasser innerhalb der Zivilbevölkerung. Sie benutzen uns als Schutzschilde. Wenn es zu Kämpfen zwischen Israel und der Hisbollah, gar zum Krieg kommt, ist das hier ein Himmelfahrtskommando.«
Ein Jahr später wird seine Prophezeiung wahr. Bei dem Versuch, die Hisbollah-Stellungen zu zerstören, trifft eine israelische Bombe den UNIFIL-Stützpunkt. Vier
UNIFIL-Beobachter sterben und UN-Generalsekretär Kofi Annan fordert eine sofortige Untersuchung des Angriffs, nur um im selben Atemzug deren Ergebnis zu verkünden. Nur mühsam beherrscht, beschuldigt Annan die israelische Luftwaffe, einen »offenbar absichtlich und koordinier-
ten Angriff« auf den UN-Stützpunkt durchgeführt zu haben.
Kofi Annan hätte es besser wissen können. Sehr bewußt, in diplomatisch zurückgenommener Sprache, weist der kanadische Major Hess-von Kruegener sieben Tage vor seinem Tod darauf hin, wie sehr die UNIFIL-Beobachter durch die Militärstellung der Hisbollah gefährdet seien. »Von unserem Beobachtungspunkt aus sehen wir ... die meisten der in unserem Patrouillengebiet fest installierten Positionen der Hisbollah«, schreibt der kanadische Major in seiner E-Mail, die er auch mehreren kanadischen Generälen zukommen läßt. Er dürfe über die genauen Hisbollahpositionen und deren Nähe zu seiner Stellung nicht informieren, schreibt er. Die Intensität und das Tempo der derzeitigen Aktionen seien aber sehr hoch. Im letzten Absatz seiner Mail drückt der Major sogar Verständnis für die Israelis aus, das Gebiet um seinen Stützpunkt zu bombardieren. »Dies sind aber keine gezielten Angriffe auf uns, sondern das Ergebnis taktischer Notwendigkeit.«
Khaled Fakhoury, der Hisbollah-Kommandeur, bestätigt bei seiner Führung durch Khiyam, worauf Major Hess-von Kruegener die UNO hinwies. »In diesem Krieg zwischen uns und dem zionistischen Gebilde gelten keine Regeln. Dieser Krieg wird solange geführt werden, bis wir die Juden von jedem Zentimeter heiligen islamischen Landes vertrieben haben.« Auf die Frage, wie die Hisbollah auf die Stationierung einer UN-Friedenstruppe reagieren wird, wenn die tatsächlich den Auftrag hat, die Hisbollah zu entwaffnen, kennt Khaled Fakhoury nur eine Antwort: »Wir werden sie als Kreuzfahrer betrachten, die uns unterwerfen wollen. Wir werden sie genauso aus dem Libanon herausbomben wie wir in den achtziger Jahren die US-Marine und die französischen Eroberer herausgebombt haben.«

Kultur

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