Islamisten-Netzwerk

Der Traum des Khaled Kawaja

von Bruno Schirra

Khaled Khawaja lacht. Ein dröhnendes, ein donnerndes Lachen, und es ist ihm auch über die Entfernung von mehr als siebentausend Kilometern anzumerken, daß dieser Tag für ihn ein ganz besonders glorreicher Tag ist. Auch wenn es dem ehemaligen Obersten der pakistanischen Luftwaffe und früheren Offizier des Geheimdienstes Pakistans, ISI, sehr wohl einen Wermutstropfen bedeutet, daß seinen Glaubensbrüdern »der letzte Erfolg in London heute versagt geblieben ist.« Aber ansonsten, so meint Khaled Khawaja voller Befriedigung, »laufen die Dinge für die Muslime mehr als nur gut. Afghanistan wird Tag für Tag mehr und mehr zum blutigen Sumpf, zum Friedhof der Kreuzfahrer. Die Juden sind im Libanon und über Wochen gar in ihrem eigenen Haus mörderisch geschlagen worden. Die Muslime im Dar ul Gharb, im Haus des Krieges, wachen endgültig auf, haben den Kampf gegen die Gottlosigkeit der Kreuzzügler selbst in deren Städten aufgenommen und so Gott will, wird die Gemeinschaft der Gläubigen morgen in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, in allen Ländern des Westens, das vollenden, woran wir heute in London noch gescheitert sind.« Khalid Khawaja ist glücklich, denn »wir sind mit Allahs Hilfe auf unserem Weg, die Türme Babylons weltweit zu zertrümmern, und Gott ist groß.«
Die britischen Sicherheitsbehörden haben in letzter Minute eine blutige Anschlagsserie islamistischer Terroristen verhindern können, bei der mindestens zehn Passagierflugzeuge auf ihrem Transatlantikflug in die USA über nordamerikanischen Städten zur Explosion gebracht werden sollten. Tausende Männer, Frauen und Kinder wären ermordet worden. In Großbritannien, wie in allen anderen westlichen Staaten, beginnt, ebenso wie nach dem islamistischen Massenmord in der Londoner U-Bahn vom 7. Juli letzten Jahres, dieselbe erstaunt-schockierte Diskussion darüber, wie es bloß geschehen kann, daß scheinbar unauffällige in westliche Gesellschaften integrierte junge Muslime aus dem Nichts heraus sich als mörderische Streiter Allahs entpuppen und zu dessem höheren Ruhme skrupellos unschuldige Zivilisten morden wollen. Eine Frage, die Männer wie Khaled Khawaja ganz unbefangen beantworten. »Dies ist ein Krieg der Kulturen, ein Krieg der Zivilisationen, ein Krieg der Religionen,« sagt Khawaja, »und wir, ›die wahren Muslime‹ sind es, die euch diese Kriege erklärt haben, sie gegen euch führen, führen müssen, denn die Muslime dieser Welt nehmen eure Unterdrückung, eure Beleidigungen Allahs, eure sündige Zivilisation, die uns unterdrückt, nicht länger hin.«
Es ist Samstagabend in Deutschland, und Khaled Khawaja, der im Umgang mit westlichen Journalisten ausgesprochen umgänglich, geradezu jovial ist, hat es nicht gestört, mitten in der Nacht im pakistanischen Karatschi aus dem Schlaf gerissen zu werden und telefonisch bereitwillig Rede und Antwort zu stehen. Wer, wenn nicht Khaled Khawaja wäre besser geeignet, über die Verbindungen, die Zusammenhänge, all die engen Verflechtungen zwischen den verschiedenen sunnitischen Terrornetzwerken und pakistanischer Politik zu sprechen. Khawaja war der Mann, der den US-Journalisten Daniel Pearl nach Karatschi geschickt hatte, wohlwissend, was den dort erwartete: Entführung durch die islamistischen Freunde des ehemaligen Geheimdienstoffiziers Khawaja. Die enthaupteten Pearl vor laufender Kamera. Khawaja wurde zwar von einem Inspektor der pakistanischen Polizei verhaftet, verhört, aber dann, nach direkter Intervention aus dem Generalstab der pakistanischen Armee, eilends aus der Haft entlassen. Was kein Wunder ist, denn Khaled Khawaja ist seit mehr als zwanzig Jahren fest in beiden Welten verankert, der des islamistisch-terroristischen Untergrundes und der Bühne pakistanischer Politik. Unterhält man sich mit dem Mann, der mehr als fünf Jahre lang der persönliche Pilot von Osama Bin Laden war, wird klar, daß die islamistische Realität Pakistans nicht von der politischen des Landes zu trennen ist. Vielmehr bedingen sich beide Realitäten gegenseitig, denn weite Teile der politischen Elite der Nuklearmacht Pakistan sind ebenso wie wesentliche Gruppen des militärischen und religiösen Establishments des islamischen Staates eng mit den sunnitischen Terrororganisationen der Al Qaida-Ideologie verbunden.
Wie sehr, das zeigen die bisher bekanntgewordenen Ermittlungsergebnisse der britischen Polizeibehörden und Geheimdienste. Ebenso die Erkenntnisse westlicher Sicherheitsbehörden. Auch wenn Pakistans Staatschef Pervez Musharraf seit dem 11. September 2001 unter massivem Druck der USA eine Kehrtwende weg von islamistischen Visionen hin zum Schulterschluß mit George Walker Bushs Kriegen gegen den Terror vollzogen hat, unterstützen nach wie vor weite Teile der pakistanischen Eliten den islamistischen Terror weltweit und aktiv mit Geld, Waffen, Training und Logistik. Ohne die tatkräftige Hilfe des ISI sowie der pakistanischen Armee könnten die Taliban ihren Guerillakrieg gegen die afghanische Bevölkerung und die westlichen Truppen niemals so erfolgeich führen. Die pakistanischen Sicherheitskräfte, die an der Jagd auf Osama Bin Laden beteiligt sind, unterstützen dessen erfolgreiche Flucht seit Jahr und Tag. Sie gewähren islamistischen Aktivisten, die aus Europa nach Pakistan reisen, um dort ihr Terrortraining zu absolvieren, nicht nur sicheren Schutz. Vielmehr beteiligen sie sich aktiv an deren Terrorausbildung. Das zeigt zumindest die 103 Seiten starke Analyse eines westlichen Geheimdienstes aus dem Jahre 2005. Die Analyse scheint den Autoren so brisant, daß sie »auch nicht an befreundete Dienste weitergeleitet werden soll«.
Daß die Schlußfolgerungen der Expertise so falsch nicht sein können, wird nun im Laufe der britischen Untersuchungen mehr und mehr deutlich. Die Planungen der mutmaßlichen Attentäter liefen über Monate, und was die britischen Sicherheitsbehörden in den ersten Stunden nach der Verhaftung an Informationen freigeben, deutet darauf hin, daß mehrere islamistische Terrorgruppen aus Pakistan die britischen Muslime unterstützt und ausgebildet haben. Der britische wie der pakistanische Geheimdienst wollen zudem Anhaltspunkte gefunden haben, daß zumindest zwei der Selbstmordattentäter, die am 7. Juli letzten Jahres in London bei vier Selbstmordattentaten 52 Menschen töteten, im engen Kontakt mit den jetzt verhafteten mutmaßlichen Terroristen standen. Mohammad Sidique Khan und Shezad Tanweer besuchten demzufolge zeitgleich mit zwei der jetzt verhafteten britischen Verdächtigen das Markaz-Taiba-Zentrum, eine Madrassa in Pakistan. Die wird von der muslimischen Wohlfahrtorganisation Jamaat al-Dawat geleitet.
Deren Führer, Hafiz Mohammad Saeed, werfen pakistanische Polizeiermittler und britische Geheimdienste enge Verbindungen zur Lashkar-i-Taiba vor. Die islamistische Terrorgruppe gilt als Teil des Al-Qaida-Netzwerkes von Osama Bin Laden. In den Reihen der Lashkar-i-Taiba kämpfen seit Jahren mindestens zwölf britische Staatsbürger. Die Terrorgruppe hat in Großbritannien, das streuen britische wie pakistanische Sicherheitsbehörden, in den letzten Jahren mehrere Millionen Pfund an Spendengeldern gesammelt.
Die britischen Behörden vermuten, daß zumindest zwei weitere der jetzt verhafteten mutmaßlichen Attentäter in einem Ausbildungslager der Al Qaida in Waziristan, im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan, ein Terrortraining absolviert haben. Unter der Leitung des 29 Jahre alten Al-Qaida-Kommandanten Matiur Rehman seien seit Mitte der neunziger Jahre mehrere Tausend Terror-Rekruten als Sprengstoffexperten in Ausbildungslagern der Al Qaida ausgebildet worden. Darunter auch mehrere dutzend britische Staatsbürger pakistanischer Herkunft. 1.200 ausgebildete potentielle Terroristen vermuten nun die britischen Behörden allein in Großbritannien. Die meisten von ihnen haben engste Verbindungen zu radikalen Koranschulen und Terrorausbildungslagern in Pakistan. Nachdem in den letzten Jahren führende militärische Terrorexperten der Al Qaida verhaftet oder getötet wurden, hat sich nun in Pakistan eine neue Generation von Terrorinstrukteuren herausgebildet wie beispielsweise Matiur Rehman. Der soll ein führendes Mitglied der pakistanischen Lashkar-i-Jhangvi sein und die Verbindung radikaler pakistanischer Terrorgruppen zu Al Qaida koordinieren.
Die USA verdächtigen Rehman, hinter dem Attentat auf das US-Konsulat in Karatschi am 2. März dieses Jahres zu stehen. Pakistan hat wegen der mutmaßlichen Beteiligung Rehmans an einem fehlgeschlagenen Attentat auf Pervez Musharraf, den Präsidenten Pakistans, ein Kopfgeld in Höhe von umgerechnet 130.000 Euro auf Matiur Rehman ausgesetzt. »Rehman ist eine Art Relaisstation zwischen pakistanischen Netzwerken und Non-Aligned-Terroristen in Europa. Er koordiniert die Zusammenarbeit, organisiert das Training der Islamisten und ist wesentlich in die Planung von Attentaten in Europa involviert,« sagt ein hochrangiger französischer Geheimdienstmitarbeiter. »Ohne die Hilfe von islamistischen Teilen des ISI und der pakistanischen Armee wäre das nicht möglich.«
Eine weitere Schlüsselfigur bei der Planung der Londoner Attentatsserie soll der islamistische Aktivist Rashid Rauf gewesen sein, dem Pakistans Innenminister Aftab Khan Shapiro enge Verbindungen zu Al Qaida vorwirft. »Wir haben ihn im Grenzgebiet zu Afghanistan, in Waziristan, festgenommen und nach seinem Verhör unsere Erkenntnisse den britischen Behörden mitgeteilt.« Tayib Rauf, einer der Verdächtigen, die die britische Polizei in Birmingham festgenommen hat, soll der Bruder von Rashid Rauf sein.
Englische Zeitungen zitieren ungenannte Geheimdienstmitarbeiter, die behaupten, daß britische Sicherheitsbehörden einen Befehl zum Losschlagen aus Pakistan abgefangen und dechiffriert hätten. Nach der Festnahme von Rashid Rauf in Pakistan soll von dort aus die Botschaft zum sofortigen Losschlagen an die britischen Attentäter übermittelt worden sein.
Die Pakistan-Verbindungen islamistischer Terroristen, die in Europa leben, sind seit Jahr und Tag ein offenes Geheimnis. Westliche Sicherheitsexperten wie westliche Geheimdienste warnen seit Jahren davor, daß die Nuklearmacht Pakistan dabei ist, vollends in islamistisch-terroristische Gefangenschaft abzugleiten. Parlamentarier wie der paschtunische Abgeordnete der islamistischen Muttahida Majlis- e-Amal (MMA), Maulana Noor Mohammed, bekennen öffentlich ihre Unterstützung der Al Qaida und anderer Terrorvereinigungen. Der Maulana, der islami-
sche Würdenträger, ist eine noble Patriarchengestalt, und beim letzten Besuch in Islamabad hat er auf dem Boden seines Büros kauernd die Ermordung des pakistanischen Staatschefs Pervez Musharraf gefordert, Osama Bin Laden als »Seele der Menschheit« bezeichnet und daß »natürlich die Taliban die Kämpfe gegen die westlichen Eroberer Afghanistans auf den Rat von uns, ihren pakistanischen Freunden hin begonnen haben. Auch ihr in Deutschland seid unsere Feinde, auch bei euch in Deutschland werden wir unsere Märtyreraktionen durchführen, denn deutsche Soldaten halten in Afghanistan heilige islamische Erde besetzt.«
Hinter solchen Reden stecken Taten, sie sind nicht nur radikale Drohungen. Das weiß auch Musharraf, der aus Sicht seiner früheren islamistischen Verbündeten heute ein Verräter ist. Aber der pakistanische Staatschef hat nicht die Macht, effektiv gegen die Netzwerke der islamistischen Eliten seines Landes vorzugehen. Pakistan würde ein blutiger Bürgerkrieg drohen, wenn Musharraf an die 70.000 Koranschulen unter staatliche Kontrolle brächte. Schulen, in denen hunderttausende pakistanische und westliche Koranschüler in islamistischer Terrorideologie gedrillt werden. Da droht ein Pulverfaß zu explodieren, und der Alptraum westlicher Sicherheitsbehörden könnte sich realisieren.
»Irgendwann wird der sechste, der siebte oder auch erst der achte Attentatsversuch auf Musharraf glücken. Dann droht Pakistan in die Hände der Islamisten aus den Reihen des Geheimdienstes und der pakistanischen Armee zu fallen,« befürchtet ein hoher westlicher Geheimdienstmitarbeiter. »Dann haben islamistische Terroristen nicht nur Zugriff auf eine Atombombe, sondern gleich auf ein paar Dutzend.«
Der Alptraum des Geheimdienstmitarbeiters ist der Traum von Khaled Khawaja. Wie bei den persönlichen Treffen in den Jahren zuvor erklärt der Mann, der Osama Bin Laden als »leuchtendes Vorbild für alle Muslime« und als »die Krone auf dem Haupt der Muslime« bezeichnet hat, nur eines – auf die Frage, was geschehen würde, wenn er und seine islamistischen Brüder Zugriff auf Nuklearwaffen hätten, antwortet er: »Wir würden eure Welten, eure Zivilisationen mit Asche und Feuer verbrennen, euch nur so euren Preis für eure Sünden zahlen lassen, und uns selbst dadurch reinigen.«

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