von Ulf Meyer
Es gibt nicht viele Hertha-BSC-Fans in New York. Peter Eisenman, der am 11. August
75 Jahre alt wird, gehört zu dieser raren Spezies. Den Berliner Bundesligisten hat der Architekt in der Zeit schätzen gelernt, als er das Holocaustmahnmal errichtete – sein hierzulande bekanntestes, wahrscheinlich einzig bekanntes Bauwerk. Dabei galt der 1932 in Newark/New Jersey geborene Eisenman schon lange vor dem Bau des Stelenfelds als einer der bedeutendsten Architekten unserer Zeit. Seine Karriere begann 1967 mit der Architektengruppe »New York Five«, in der er sich mit vier Kollegen für die Weiterentwicklung der Gestaltungsideen von Le Corbusier stark machte. Schon damals sprengte Eisenman gängige Typologien. Seine Theorien und Bauten suchten die Emanzipation der Architektur von der Funktion. Bereits seine frühesten Projekte räumten mit der Vorstellung auf, dass ein Haus vier Wände haben muss. So baute er beispielsweise ein Wohnhaus in Connecticut, das Stützen hat, die nicht auf den Boden reichen und Treppen, die ins Nirgendwo führen. Eisenman interessierte »eine Architektur, die nicht überwältigt, sondern unterwältigt«. Er suchte Formen, in denen sich »das Unbewusste ausdrücken kann und nicht unterdrückt wird, die die Psyche des Menschen für das Verdrängte öffnen«.
Dieses durch jahrzehntelange Erfahrung gereifte architektonische Konzept einer »fragmentierten räumlichen Grammatik« war es, das Eisenman Anfang Ende der 90er-Jahre ermöglichte, mit seinem Entwurf für das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin eine Art gordischen Knoten der Gedenkarchitektur zu durchschlagen. Die Erinnerung an den Holocaust, den fast kein Zeitgenosse mehr selbst erlebt hat, wird immer abstrakter. Eisenmans Feld aus Betonstelen, das ganz ohne Bilder auskommt und stattdessen auf die körperliche Erfahrung der Besucher setzt, wird dieser Tatsache gerecht. »Es wäre falsch, wenn der Holocaust zu einem erkennbaren Symbol erstarren würde, das wir verstehen und in unsere Psyche einordnen können. Denn es gibt keine Wahrheit zu verkünden und keinen Sinn zu beschreiben. Wir können das Geschehene nicht begreifen, es macht uns hilflos«, definierte der Architekt seinen Ansatz. Das Mahnmal schweige deshalb »wie ein Psychoanalytiker, auf dass wir in diesem Schweigen uns selbst als Fremde begegnen. Der Stelenwald vermeidet Gewissheiten und wirft uns auf uns selbst zurück.«
Auch für Eisenman selbst wurde der Bau zur Therapie wider Willen, die ihn so sehr veränderte wie sein Entwurf die Stadt. Sein Jüdischsein ist ihm erst durch die Arbeit am Denkmal bewusst geworden: »In meinen Jugendjahren fühlte ich mich nicht als Jude, denn meine Eltern waren assimiliert«, erinnert er sich. »Dennoch spüre ich eine typisch jüdische Empfindsamkeit bei mir, und die hat sich durch das Projekt so gesteigert, dass ich mich heute oft fremd in meiner Stadt und in meinem Land fühle, so als lebte ich in einer Diaspora. Ich fühle mich nirgendwo mehr daheim – und mag dieses Gefühl.«