Dieses Urteil ist etwas Besonderes. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVerfG) hat in einem vor einer Woche veröffentlichten Beschluss einen wesentlichen Teil des Staatsvertrags zwischen dem Land Brandenburg und der Jüdischen Gemeinde Brandenburg für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt (vgl. JA, 18. Juni). Moniert werden von den Richtern des Zweiten Senats die Regeln bei der Vergabe von Zuschüssen. Es sei nicht zulässig, dass der Landesverband autonom staatliche Mittel an die jüdischen Gemeinden weiterleite. In Zukunft müsse der Staat selbst für die gerechte Verteilung des Geldes sorgen. Heißt das, er entscheidet künftig auch, welche Gruppierung dem Judentum zuzurechnen ist und welche nicht?
Um das in Artikel 4 Absatz 2 des Grundgesetzes verbürgte Recht auf freie Religionsausübung verwirklichen zu können, steht Religionsgemeinschaften eine angemessene finanzielle Ausstattung zu. Das ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Neutralitätsgebot des Staates soll garantieren, dass alle gleichermaßen zum Zuge kommen.
Dieses Prinzip, befanden die Karlsruher Richter, sei aber dann gefährdet, wenn der Staat Geld durch Dritte verteilen lasse – in diesem Fall durch den Landesverband der Jüdischen Gemeinden Brandenburg. Denn Religionsgemeinschaften, die dieser Einrichtung nicht angehören oder sich zu dieser in Konkurrenz befinden (wie der klagende »Verein Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde Brandenburg«), könnten benachteiligt werden und schlimmstenfalls sogar leer ausgehen. Im vorliegenden Fall gibt es nach Auffassung des Ver- fassungsgerichts eine »institutionelle Befangenheit«.
Juristisch kann den Richtern kein Vorwurf gemacht werden. Der Staat muss bei der Finanzierung von Religionsgemeinschaften neutral sein. Handelt er durch Dritte, die auch eigene Interessen verfolgen, verletzt er potenziell seine Neutralitätspflicht und damit das Recht auf freie Religionsausübung. Grundrechte sind »individuelle Anspruchspositionen« und damit immer auch Minderheitenrechte.
Konkret oblag es den Richtern nicht, ein mögliches Fehlverhalten des Landesverbandes zu überprüfen. Dieser leitet einen bestimmten monatlichen Betrag an die »Gesetzestreuen« weiter. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Staat seiner Neutralitätspflicht und dem Rechtsstaatsprinzip genügt. Die Antwort lautet: Er tut es nicht, wenn in einem ihm zurechenbaren Verfahren die strukturelle Möglichkeit zur Unparteilichkeit besteht.
Das klingt einleuchtend, fördert aber ei-nen anderen verfassungspolitischen Konflikt zutage: Die Neutralitätspflicht des Staates gerät in ein Spannungsverhältnis zum ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht einer Religionsgemeinschaft. Eine solche zeichnet aus, dass sie sich über Glaubensinhalte, Riten, Festtage und ihre Abgrenzung zu anderen Gruppierungen definiert. Ihren Wesensinhalt macht gerade aus, dass sie sich zu etwas bekennt: Keine Einheit ohne gemeinsame Identität.
Wird eine Religionsgemeinschaft in die Verteilung staatlicher Zuschüsse einbezogen, verlangt man von ihr, sich inhaltlich indifferent zu zeigen. Denn der Staat macht sie in finanziellen Fragen zu seiner eigentlich der Neutralität verpflichteten Sachwalterin. So der Sachverhalt im vorliegenden Fall.
Der Karlsruher Richterspruch schafft eine paradoxe Situation: Der Staat muss nun selbst über die Zuteilung seiner Mittel neutral befinden, steht aber gleichzeitig in der Pflicht, darüber zu entscheiden, ob eine Gruppierung überhaupt einer Religionsgemeinschaft angehört. Er muss also inhaltliche Kriterien festlegen, denen er zuvor mit dem Argument der Neutralität den Weg versperrt hat. Ein offenkundiger Widerspruch. Noch bedenklicher ist, dass der Staat sich künftig zum unbestellten Sachwalter einer Religionsgemeinschaft macht, indem er über die Finanzierungsfrage indirekt auch die Identität einer Religionsgemeinschaft bestimmt.
Was ist das kleinere Übel: dass eine Religionsgemeinschaft in finanziellen Fragen Sachwalterin des Staates bleibt oder dass der Staat in inhaltlichen Fragen Sachwalter einer Religionsgemeinschaft wird? Ein Vergleich kann da weiterhelfen. Der Staat stellt dem Deutschen Fußballbund (DFB) Geld für die Förderung seiner Vereine zur Verfügung. Ein nicht im DFB vertretener und sich von diesem distanzierender Rugby-Klub beschwert sich, kein Geld bekommen zu haben. Der DFB sagt: Rugby ist kein Fußball. Und der Staat? Dessen Antwort könnte nach »Radio Eriwan« klingen: Grundsätzlich stimmt das, aber man spielt Rugby mit einem ballähnlichen Gegenstand auf einem Feld und erzielt Tore. Deshalb müsse der Fußballbund auch Rugby-Vereine finanziell an den Zuschüssen betei- ligen. Wäre der DFB dann noch der DFB?
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