von Katharina
Schmidt-Hirschfelder
Göran Persson ist gern zu Gast in Stockholms Großer Synagoge in der Wahrendorffsgatan. Als erster schwedischer Premierminister erinnerte er hier am 27. Janu- ar 2000 an die Opfer der Schoa. Diesen Gedenktag hat er in Schweden eingeführt. Für sein Engagement hat er vor einigen Wochen den Aron-Isaac-Preis bekommen. Eine Ehrung, die der jüdische Zentralrat alljährlich an Personen mit besonderen Verdiensten um die jüdische Gemeinde vergibt.
Persson, zehn Jahre lang schwedischer Ministerpräsident, habe mehr für Schwedens Juden getan als jeder seiner Vorgänger, sagt Lena Posner-Körösi. Die Vorsitzende des Judiska Centralrådet, des Zentralrats der schwedischen Juden, kann sich noch nicht recht daran gewöhnen, ihn nicht mehr mit »Herr Premierminister« anzureden. Die Wahl im Herbst vergangenen Jahres hat der heute 58-Jährige verloren. Dessen ungeachtet ist sein Ansehen unter Schwedens Juden weiterhin hoch. Posner-Körösis Laudatio beginnt deshalb warm und schlicht mit »Lieber Göran«. In seinem kompromisslosen Kampf gegen Antisemitismus habe er immer wieder betont, so die Begründung, wie nötig es sei, aus der schrecklichen Erfahrung der Schoa zu lernen. Das »Forum für lebendige Geschichte«, die jüdische Hochschule »Paideia« und die internationale Stockholm-Konferenz zum Thema »Verantwortung für die Vergangenheit« – allesamt Perssons Jahrtausend-Initiativen.
Bis vor wenigen Jahren noch galt Antisemitismus in Schweden als nicht politisch korrekt. Dies habe sich leider geändert, erzählt Lisa Abramowicz von der schwedischen Israel-Information. Einstellungen gegenüber Juden, die lange völlig unakzeptabel schienen, sind heute wieder salonfähig. Mit Schaudern erinnert sich Abramowicz an Demonstrationen im Frühjahr 2002, wohlgemerkt »Gegen Antisemi- tismus und Islamophobie«. Juden wurden damals angegriffen und geschlagen. Es habe eine regelrechte Pogromstimmung geherrscht, berichtet Abramowicz.
Auch in Schweden vermischen viele Menschen ihre antisemitischen Schablonen mit Kritik am Staat Israel. Im Musterland der Sozialdemokratie hat dies durchaus Tradition. Schon der legendäre Ministerpräsident Olof Palme bezog eindeutig Stellung für die Palästinenser und machte vermeintlichen Antizionismus zum Leitmotiv schwedischer Nahostpolitik. »Unsere Gesellschaft ist nicht so frei und offen wie die meisten gern glauben wollen«, bedauert Abramowicz.
Ende der 90er Jahre leitete Göran Persson vorsichtig einen Paradigmenwechsel im öffentlichen Bewusstsein ein. Erstmals wurde das jahrzehntelang nicht hinterfragte historische Erbe wie etwa die offizielle Neutralität im Zweiten Weltkrieg kritisch beleuchtet. So pflegte Schweden auf allen Ebenen einen regen Austausch mit Nazideutschland. Die Anbiederung ging soweit, dass Schweden gemeinsam mit der Schweiz den deutschen Behörden vorschlug, Pässe deutscher Juden mit einem »J« zu kennzeichnen. Auf diese Weise konnte man jüdische Flüchtlinge an der Einreise hindern. Flüchtlinge, zumal Juden, wurden in Schweden lange als Bedrohung der Gemeinschaft angesehen. Diese Haltung änderte sich erst, als sich die Niederlage Nazideutschlands abzeichnete. Dann fanden Juden aus Dänemark und Norwegen Zuflucht beim kriegverschonten skandinavischen Nachbarn.
Dass Persson sich als erster schwedischer Politiker überhaupt zu einer nationalen Verantwortung bekannt hat, nehmen ihm viele Landsleute übel. Vor allem seine Israelreise – nach Jahrzehnten besuchte ein schwedischer Premier Yad Vaschem – kritisieren bis heute viele Schweden über alle Parteigrenzen hinweg als »einseitig« und »falsch«. Doch Persson weist diese Kritik in seiner vor wenigen Wochen erschienenen Autobiografie Mein Weg, meine Entscheidungen brüsk zurück. Es sei richtig gewesen, schreibt Persson, dass er seinem Freund, Israels damaligem Ministerpräsidenten Ehud Barak, den Rücken gestärkt habe.
Mit seiner Unbeirrbarkeit, die bisweilen an Sturheit grenzte, ist er als Regierungschef stets angeeckt. Mit seinem Einsatz gegen Antisemitismus ragt er unter Schwedens Top-Politikern heraus. Dafür hat ihn die jüdische Gemeinde geehrt.