von Andreas Nachama
In unendlich vielen Aktenordnern in der Wohnung des Berliner Historikers Wolfgang Scheffler stehen Kopien der NS-Akten, die er in allen erreichbaren Archiven durchgesehen, ausgewertet und als eminent wichtiger Sachverständiger zur Grundlage wissenschaftlicher Gutachten für Gerichtsverfahren gemacht hat.
Scheffler präsentierte die Ergebnisse seiner Forschung ohne Rücksicht auf öffentliche Meinung oder Mythen. Die Analysen, die er vortrug, basierten auf seiner kritischen Methode. Besonderen Wert legte Scheffler auf die Gegenüberstellung von Aussagen Tatbeteiligter mit den Zeugnissen Überlebender, wodurch er sich nicht nur Freunde machte.
Sein Wort hatte Gewicht, auch wenn er auf Buchpublikationen weitgehend verzichtete: Er wollte als Sachverständiger vor Gericht nicht in den Geruch kommen, seine eigenen Publikationen durch seine Ausführungen promoten zu wollen.
Bis 1994 lehrte Scheffler am Institut für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, wohin ihn Herbert A. Strauss 1982 berufen hatte. Schon 1960 legte Wolfgang Scheffler, der 1956 bei Ernst Fraenkel an der Freien Universität Berlin promoviert hatte, seine knapp gefasste, später in über 100.000 Exemplaren vielfach erweiterte Schrift Judenverfolgung im Dritten Reich vor.
1961 hatte ihn das Auswärtige Amt als wissenschaftlichen Beobachter zum Eichmann-Prozess nach Jerusalem delegiert. International anerkannt war er als Gutachter in etlichen NS-Mordprozessen: im Düsseldorfer Treblinka-Verfahren (1964/65), im Bialystok-Verfahren in Bielefeld (1966/ 67), im Majdanek-Verfahren oder auch im Prozess gegen den Reichsbahn-Staatssekretär Albert Ganzenmüller(1973).
Für die Dokumentation der Geschichte des Mordes an den europäischen Juden war Wolfgang Scheffler im Nachkriegsdeutschland einer der ersten und der wenigen wirklich Bedeutenden.
Allen, die das Privileg hatten, mit Wolfgang Scheffler zusammenarbeiten zu dürfen, wird sein großes Wissen, seine ruhige, freundliche aber immer unaufgeregte Persönlichkeit und sein immer anregender kritischer Rat fehlen.
Wolfgang Scheffler ist am 18. November im Alter von 79 Jahren in Berlin gestorben.
Der Autor ist Geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors.