Von Elke Wittich
Plötzlich, beinahe über Nacht, war Pokern »in«, und selbst Leute, die mit Online-Spielen normalerweise nichts im Sinn hatten, saßen nächtelang vor ihren Computern, verzockten an virtuellen Tischen virtuelles Geld und träumten davon, so gut zu zocken, dass sie sich zu einem lukrativen Turnier in der wirklichen Welt qualifizieren konnten.
Der am 30. Dezember 1954 geborene Amerikaner Barry Greenstein hat all das, was sich die neuen Pokerfans wünschen, schon lange erreicht: Er kann nicht nur vom Kartenspielen leben, ist nicht nur reich, sondern auch noch berühmt. Schließlich gilt er als eines der besten Pokerfaces der Welt.
Greenstein war das Spiel mit den Assen, Königen und Damen fast in die Wiege gelegt worden. Sein Vater Jack Greenstein, Direktor einer Grundschule in Scottsdale im US-Bundesstaat Arizona, hatte als GI pokern gelernt und brachte Barry früh die Regeln und Taktiken bei. Später nach seiner schönsten Kindheitserinnerung gefragt, antwortete Greenstein allerdings nicht mit einer Kartenepisode, sondern sagte: »Ich kann beim besten Willen kein einzelnes Erlebnis herausheben, denn ich hatte einfach insgesamt eine sehr, sehr schöne Kindheit.« Allerdings habe er »schon mit zwölf gewusst, dass ich ein sehr guter Pokerspieler bin und dass mich das Spiel mein Leben lang begleiten wird«.
Intellektuell herausfordernd seien jedoch ganz andere Dinge in seinem Leben gewesen, findet Greenstein, obwohl seine akademische Ausbildung sich aufgrund der Liebe zu Royal Flushs und Straßen zeitlich eher ausufernd gestaltete.
Nachdem er die Bogan High School beendet hatte, studierte er Computerwissenschaften und Mathematik an der University of Illinois. Zehn Jahre dauerte sein Studium, weil er, wie er zugibt, »sehr viel Zeit mit Pokern verbrachte«. Ein Sorgerechtsstreit um seine vier Stiefkinder führte dazu, dass er, im Unterschied zu seinem Informatikstudium, seinen Abschluss im Fach Mathematik aus finanziellen Gründen nicht absolvieren konnte.
Barry Greenstein begann seine berufliche Laufbahn 1984 als Software-Entwickler bei dem Start-up-Unternehmen, das später als Symantec weltbekannt werden sollte. Greenstein, einer von damals fünf Angestellten, war für Q&A – Quality-Assurance (Qualitätssicherung) – zuständig. »Die von mir mitentwickelte Software wurde mehrfach ausgezeichnet«, sagt er noch heute nicht ohne Stolz. »Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, das Unternehmen zu dem zu machen, was es heute ist.«
Nach sieben Jahren verließ Greenstein Symantec allerdings, um professioneller Pokerspieler zu werden. Gespielt hatte er auch während seiner Berufstätigkeit immer, nun wagte er den Sprung in die unsichere Pokerwelt. 2005 beschrieb er das Leben als professioneller Kartenspieler in seinem Buch Ace on the River: An Advanced Poker Guide bewusst sehr realistisch und unglamourös. Gleichzeitig gibt Greenstein aber auch zu, privilegiert zu sein: »Poker ist mein Job, und er hat es mir möglich gemacht, viel Geld zu verdienen und eine Menge Freiheiten zu genießen. Während die meisten Menschen täglich von 9 bis 17 Uhr arbeiten müssen und gerade so über die Runden kommen, kann ich es mir leisten, eine Auszeit zu nehmen, wenn mir danach ist.«
Allerdings sei sein Job nicht gerade familienfreundlich: »Die meisten Berufstätigen haben Probleme, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen. Hat man dann noch keine festen Arbeitszeiten und ist außerdem häufig längere Zeit von zu Hause weg, dann wird es umso schwieriger.«
In Pokerforen wird viel darüber spekuliert, ob Greenstein Jude ist. Er sei »Atheist jüdischen Ursprungs«, sagt der Pokerprofi von sich selbst. »Ich weiß um die Traditionen, aber ich praktiziere die Religion nicht. Trotzdem sind natürlich die moralischen und ethischen Vorstellungen des Judentums ein Teil von mir.«
Und so bezeichnet der 54-Jährige das, was ihm den Spitznamen »Robin Hood des Pokerns« eingebracht hat, nicht etwa als soziales Engagement, sondern explizit als Mizwa.
Greenstein lebt von dem, was er bei so genannten Cash Games gewinnt, und tritt zusätzlich bei Turnieren an. Von den Gewinnen bei diesen hochkarätigen Tournaments behält er keinen einzigen Cent, sondern spendet sie vollständig an Wohltätig- keitsorganisationen. Zu seinen Lieblingsinstitutionen gehört Children Inc., ein überkonfessionelles Projekt, das 15.000 bedürftige Kinder in 21 Ländern unterstützt.
Ursprünglich hatte Greensteins Engagement als pädagogische Maßnahme begonnen, wie der Vater von sechs Kindern erzählt. »Ich habe meine Kinder sehr ver wöhnt und wollte ihnen einfach mal zeigen, dass es den meisten Kids nicht so gut geht wie ihnen. Und deshalb kam ich auf die Idee, einen Jungen und ein Mädchen im Alter meiner beiden Jüngsten zu unterstützen.« Dass er seither bereits Millionen spendete, findet er eigentlich nicht weiter erwähnenswert: »Ich habe alles, was ich brauche. Das bringt mich in die glückliche Lage, anderen helfen zu können.«
Barry Greenstein gilt in Pokerkreisen als gleichermaßen extrem intelligent wie auch besonders hilfsbereit. Chris Ferguson, einer der Stars der Pokerszene, sagte über ihn: »Barry ist einer der besten Spieler der Welt, und alle haben Respekt vor ihm. Ich hasse es zu verlieren, klar, aber wenn man schon verliert, ist es am besten, man tut es gegen Barry, weil das Geld für einen guten Zweck ausgegeben wird.«