von Eva C. Schweitzer
Harvey Weinstein ist außergewöhnlich, selbst für Hollywood-Verhältnisse. Manche vergleichen den in New York geborenen Filmstudioboss mit Jack Warner, dem legendären und temperamentvollen Gründer von Warner Brothers Weinstein hat mit Miramax eines der wichtigsten unabhängigen Studios aus der Taufe gehoben, es an Walt Disney verkauft – und dann den Konzern verlassen.
Nun ist er wieder unabhängig, mit der von ihm neu gegründeten Weinstein Company. Und die hofft bei der Oscarverleihung am 22. Februar in Los Angeles auf eine der begehrten goldenen Statuetten. Denn der von Weinstein produzierte Film The Reader (Der Vorleser) nach dem Roman von Bernhard Schlink, ist in fünf Kategorien nominiert, unter anderem: bester Film und beste Hauptdarstellerin (Kate Winslet). Und das, obwohl er allenfalls mittelmäßige Kritiken in den USA hatte. Der amerikanische Holocaust-Experte Ron Rosenbaum nannte The Reader sogar den »schlechtesten Schoa-Film, der jemals gedreht wurde«.
Aber Weinstein stört das nicht. Er hat keine Angst vor Kontroversen, im Gegenteil, er liebt sie geradezu. Auch die von ihm produzierte Holocaust-Komödie Life is Beautiful wurde angefeindet – und schaffte 1998 den Oscar als bester ausländischer Film. Der 56-jährige Manager, der in Connecticut wohnt, verglich sich einmal mit einem Pistolero. »Wenn du Billy the Kid bist, und Leute sterben, denken alle, du hast sie erschossen«, sagte er, als Gerüchte aufkamen, er mache Konkurrenten schlecht.
Miramax fing in den siebziger Jahren mit Musikfilmen an, deren Material Harvey und sein Bruder Bob in England einkauften. Ihr erster Film war The Secret Policeman’s Other Ball, dessen Erlös Weinstein an Amnesty International spendete. Danach folgten künstlerische Streifen, deren bekanntester Stephen Soderbergs Sex, Lies and Videotape war. Die nächsten beiden Filme, darunter einer des Spaniers Pedro Almodovar, bekamen vom US-Filmverband ein »X-Rating« verpasst, ein Label als Pornofilm. Weinstein verklagte den Verband – und gewann. 1993 wurde Miramax von Disney erworben, für 70 Millionen Dollar. Ein Jahr später bekam Pulp Fiction von Quentin Tarantino den Oscar als bester Film. Disney musste sich, der Brutalität und der Sexszenen wegen, Kritik anhören, aber Weinstein verteidigte den Blockbuster. Danach verlegte er sich lieber auf ähnlich erfolgreiche, aber romantischere Streifen wie Der Englische Patient oder Shakespeare in Love.
Doch mit Disney klappte es nicht so recht. Mit einer Abfindung von 130 Millionen Dollar bekamen Harvey und Bob Weinstein ihre Freiheit wieder. Harvey hatte große Pläne. 2005 gründete er die Weinstein Co. als Multimedia-Unternehmen. Noch kämpft Weinstein Co. um den Durchbruch. Ein Oscar für Der Vorleser würde da helfen. Schließlich hat Weinstein auch tief in die Tasche gegriffen. Bis zu einer Million Dollar soll er sich die Werbung haben kosten lassen. Dazu hat der Mogul den Film geschickt präsentiert: Eröffnet wurde er in einem großen jüdischen Kulturzentrum in New York, dem »92nd Street Y«. Eingespielt hat »Der Vorleser« bisher zwar erst 17 Millionen Dollar. Aber das könnte mehr werden: Nach der Oscarverleihung spielte Life is Beautiful weltweit noch 220 Millionen Dollar ein. Auch politisch investiert Weinstein einiges. Im Vorwahlkampf um die Nominierung für das Präsidentenamt unterstützte der Filmmogul Hillary Clintons Kampagne mit Spenden. US-Präsidentin wurde seine Kandidatin zwar nicht. Aber in der Regierung ist sie schon. Auch ein gewisser Erfolg.