von Jörg Taszman
Herz Frank spricht ein sehr weiches, melodisches Deutsch. Er steht auf der Bühne des Berliner Kinos Babylon, wo er beim Baltic Filmfestival seinen jüngsten Film Flashback vorgestellt hat. Doch darüber mag der 81-Jährige kaum reden. Alles, was er an Gefühlen mitzuteilen hat, steckt schon in dem sehr persönlichen, autobiografischen Film. In Flashback erzählt Frank von sich, seiner Familie, seiner Arbeit. Die Kamera zeigt, wie seine Frau stirbt, begleitet Frank, als er am Herzen operiert wird. Es sind schonungslos-realistische Bilder, die manchmal sogar zu viel zeigen, aber in ihrer Aufrichtigkeit eine starke Wirkung haben.
Der Ich-Erzähler Herz Frank spricht im Film Russisch, seine erste Sprache. Bei Familie Frank daheim in Ludza, einer Kleinstadt 270 Kilometer von Riga entfernt, wo Herz Frank 1926 zur Welt kam, wurde zwar jiddisch geredet, der kleine Herz hatte jedoch eine russische Amme und sprach bis zum Alter von vier Jahren nur Russisch. In der Schule lernte er dann Hebräisch, auf der Straße beim Fußball mit lettischen Jungs sprach man Lettisch und Russisch. Heute pendelt er zwischen der alten Heimat Riga und seinem neuen Zuhause Jerusalem. Wo er denn nun hingehöre, ob er nicht »Kosmopolit« sei, will jemand aus dem Publikum in etwas herrischem Ton wissen. Frank beantwortet die Frage ausweichend: Nicht der Ort sei entscheidend sei an dem man lebe, sondern ob man etwas mit der Seele und dem Herzen tue.
Antisemitismus habe er in seiner Jugend nicht erlebt, sagt Frank. Bis die Deutschen 1941 nach Lettland kamen und sofort begannen, Juden in Ghettos und KZs zu treiben oder sie an Ort und Stelle zu ermorden. Der damals 15-Jährige entkam mit seinem Vater in die Sowjetunion, wie zuvor schon sein älterer Bruder. Zwei seiner Schwestern, die in Riga geblieben waren, wurden im KZ Stutthof ermordet. Herz Frank ging auf eine russische Schule, diente ab 1944 in der Roten Armee und studierte nach dem Krieg Rechtswissenschaft in Moskau. Erst 1955 kehrte er nach Riga zurück, wo seine Karriere als Dokumentarfilmer beginnen sollte.
Kino hatte Herz Frank immer machen wollen. Sein Vater war Fotograf gewesen, der erste in Ludza. Der Sohn begann 1959 als Werbefotograf im Rigaer Filmstudio, schrieb Drehbücher und machte erste Reportagen. Ab 1965 drehte er dann Dokumentarfilme. International bekannt wurde Frank 1979, als auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestival seine Kurzproduktion 10 Minuten älter prämiert wurde. Der Film zeigt die Gesichter von Kindern während einer Vorstellung im Puppentheater. In nur einer Einstellung sieht man fast alle menschlichen Emotionen von Freude bis Angst, Lachen und Weinen. Die Kamera verharrt dabei immer nur auf den Gesichtern.
»Rigaer Schule des Poetischen Doku- mentarfilms« wurde der spezifische Stil genannt, den Frank mit seinem 1992 tödlich verunglückten Kameramann Juris Podnieks entwickelte. Den Begriff »poetisch« darf man dabei nicht missverstehen. Auch wenn die Bilder nicht immer so hart und direkt waren wie in Flashback, die Themen waren es oft schon. Der Tod hat in Herz Franks Werk stets eine große Rolle gespielt. In Das letzte Gericht 1987 unterhält er sich mit einem zum Tode verurteilten Russen. Zwei Jahre später entstand sein bekanntester und mit vielen internationalen Preisen ausgezeichneter Film Es waren einmal 7 Simeons. Die 7 Simeons waren eine Jazzband aus Irkutsk, die aus 7 Brüdern bestand. Zweimal hat Frank sie gefilmt, das erste Mal 1985 als fröhliche junge Männer, die Spaß am Jazz haben und von allen geliebt werden. Drei Jahre später entführten die Brüder ein Flugzeug, töteten eine Stewardess und versuchten, aus der Sowjetunion zu fliehen. Als man sie im Westen nicht landen ließ, erschossen die älteren Brüder sich selbst und die eigene Mutter. Die Jüngeren überlebten und kamen vor Gericht. Herz Frank durfte den Prozess drehen, den man den Überlebenden machte.
Der Film erzählt die Geschichte der Brüder als Tragödie, mit viel Mitgefühl für die Täter. »Das ist ein sehr russischer Film«, sagt Frank, wobei er als spezifisch russisch den Hang der Täter zum Alles-oder-Nichts einordnet. Deutlich weist die Dokumentation aber auch dem autoritären Staat mit seiner Perspektivlosigkeit für junge Menschen eine Mitschuld an der Tragödie zu. Und das, obwohl, als der Film gedreht und aufgeführt wurde, die Sowjetunion noch existierte. Frank konnte ungehindert filmen, weil selbst die Justizbeamten die offizielle Propaganda inzwischen nicht mehr hören konnten und auf der Suche nach Wahrheit und Wirklichkeit waren. Eine Zensur fand nicht statt. »Gute Dokumentarfilme sind eine sehr fruchtbare Sache, weil auch die Mitwirkenden etwas dabei lernen können«, zieht Frank sein Resümee.
Als die 7 Simeons gedreht wurden, war der Regisseur bereits im Rentenalter. Seither hat er noch acht weitere Dokumentationen gedreht, darunter Die jüdische Straße (1992), eine Hommage an das in der Schoa fast vollständig ausgerottete lettische Judentum. »Ich lebe in meinen Filmen«, reflektiert der 81-Jährige. Der »hundertprozentige Jude und hundertprozen- tige Dokumentarist«,sitzt in Jurys internationaler Festivals und plant weitere Filme: »Ich bin absolut frei und mache, was ich will. Es gibt nur das Problem der Finanzen.« Sein neues Projekt trägt den bezeichnenden Titel »Die ewige Probe«.