von Anke Kathrin Bronner
Als Philosoph und Soziologe ist Theodor W. Adorno auch denen wenigstens als Name ein Begriff, die seine Werke nie gelesen haben. Doch selbst viele Bildungsbürger wissen nicht, daß Adorno auch Komponist war. Seine musikalischen Werke führen in Konzertbetrieb und Plattenindustrie ein Schattendasein. Gerade einmal sechs Einspielungen mit Adorno-Kompositionen sind erhältlich, davon nur eine ausschließlich mit Werken von ihm in einer Einspielung von Gary Bertini und dem Orchester der Oper Frankfurt bei wergo.
Ein Grund für diese Ignoranz ist, daß Theodor Adorno vielen im Musikmilieu als Dilettant gilt oder bestenfalls als bloßer Theoretiker der Musik. »Er weiß natürlicherweise alles über Zwölf-Ton-Musik, hat aber keine Ahnung von dem schöpferischen Vorgang«, giftete zum Beispiel Arnold Schönberg. »Er, der wie man mir sagt, eine Ewigkeit braucht, um ein Lied zu komponieren, ahnt natürlich nicht, wie schnell ein wirklicher Komponist abschreibt, was er in seiner Fantasie hört.« Ob das ein rein musikalisches Urteil war, kann bezweifelt werden. Persönliche Motive jedenfalls können nicht ausgeschlossen werden. Denn, so Schönberg an anderer Stelle über Adorno: »Ich habe ihn ja nie leiden können.«
Adorno selbst sah – zumindest anfangs – in der die Musik seine eigentliche Berufung. Nach Studien bei Bernhard Sekles in seiner Heimatstadt Frankfurt ließ er sich im Jahr 1924 von Hermann Scherchen bei Alban Berg vorstellen, bei dem er im Februar 1925 um Aufnahme als Student ersuchte. »Es handelt sich um ganz bestimmte technische Probleme, denen ich mich nicht gewachsen fühle; ich glaube, daß ich Ihnen recht genau bezeichnen kann, worin ich Ihrer bedarf.«
Dieser Brief dokumentiert bereits, woran Adornos musikalische Karriere letztlich möglicherweise scheiterte. Er zeugt nicht nur von systematischer Analyse eigener Mängel, sondern auch von Unsicherheit, von mangelndem Selbstvertrauen den eigenen kompositorischen Fähigkeiten gegenüber. Dessenungeachtet wurde der junge Adorno wenige Wochen später in den erlauchten Kreis der Zweiten Wiener Schule aufgenommen. Dort jedoch, im übermächtigen Schatten von Schönberg, Berg und Webern, scheint für ihn kein Wachsen, kein Reifen möglich gewesen zu sein. Zudem war er zu sehr gefangen zwischen Freiheitsdenken – verkörpert in seiner frei atonalen Kompositionstechnik – und der Orthodoxie, wie sie die Zwölfton-Musik verlangte.
So wandte sich Adorno schließlich statt der Musik der Philosophie zu. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstummte er musikalisch fast komplett. Sein Ziel, im Alter mehr Muße für das musikalische Schaffen zu finden, wurde durch seinen plötzlichen Tod zunichte gemacht. Gerade einmal zwei Bände umfaßt die Gesamtausgabe seiner Musik: viele Klavierlieder, darunter Vertonungen von Gedichten Georg Trakls, sowie Streichquartettsätze und Orchesterstücke. Das ist kein umfangreiches Oeuvre.
Adornos Kompositionen nur als Zeitvertreib und ihn als bloßen Hobbyisten abzutun, wäre dennoch ungerecht. Ernst Krenek etwa schrieb 1936 über die Orchesterstücke, op. 4: »Ich finde sie, ohne Komplimente, ausgezeichnet, klar, lebendig, sicher, und in jener richtigen, höheren Art einfach. Es wird mir immer rätselhafter, warum Sie als Komponist selbst unter den Outsidern, die wir ja alle sind, noch als besonderer Outsider traktiert werden.«
Letztendlich kann man Adorno den Philosophen und Adorno den Komponisten nicht getrennt voneinander beurteilen. So widersprüchlich sein kompositorisches und sein philosophisches Selbstver ständnis auch gewesen sein mögen, ergeben sie doch eine Einheit, ein komplettes Bild seiner Persönlichkeit. Wie in seinen Klavierliedern scheint die Verbindung von Wort und Musik, den beiden Hauptpfeilern in Adornos Leben, für ihn eine logische Einheit gewesen zu sein. Sprache wie Musik, beides war für Adorno ein Ventil, eine Möglichkeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen, das aus seinem Geist herausströmende Gut in sinnlich wahrnehmbare Phänomene zu transformieren.