von Pierre Heumann
Israels Premier Benjamin Netanjahu und seine Rechts-Links-Regierung haben es künftig mit einem neuen Nahen Osten zu tun. Und in dem ist vieles möglich, das bis vor Kurzem unmöglich schien. Dazu gehört zuvorderst Washingtons Bereitschaft, mit dem Iran und Syrien einen Dialog zu beginnen. Das kann Jerusalem nicht gleichgültig sein. Denn sollte es Ba- rack Obama gelingen, Teheran und Damaskus in seine Nahostpolitik zu integrieren, wäre Israels langjährige und komfortable Position als erster Verbündeter Amerikas im Nahen Osten nicht mehr gesichert.
In den vergangenen Jahren waren die Interessen der USA und Israels im Orient nahezu deckungsgleich. Jetzt zeichnen sich markante Verschiebungen ab. Anders als sein Vorgänger George W. Bush teilt der neue Chef im Weißen Haus die Welt nicht mehr nach ideologischen Kriterien in »Gut« und »Böse« ein. Obama ist pragmatisch. Um bei islamischen Staaten zu punkten, könnte er Israel Konzessionen abverlangen.
Wenn der US-Präsident die »Achse des Bösen« in Richtung Westen drehen will, müsste er Ländern wie Syrien oder Iran allerhand bieten – und dabei auch Israel unter Druck setzen, sodass es bei Fragen nachgibt, bei denen sich der jüdische Staat bisher stur gezeigt hat. Der Rückzug von den Golanhöhen, die Räumung von Siedlungen, eine Teilung Jerusalems bis hin zur Kontrolle der Nuklearstation in Dimona durch internationale Beobachter wäre aus Sicht Netanjahus ein schmerzlicher Preis, damit sich Obamas Nahost-Wünsche erfüllen können.
In Washingtons Überlegungen spielt Teheran eine zentrale Rolle. Die USA und Iran, die jahrzehntelang nicht miteinander sprachen, haben plötzlich eine Reihe von Berührungspunkten und entdecken gemeinsame Interessen. Beide streben zum Beispiel Stabilität in Afghanistan an. Obama könnte auch andernorts auf den Iran als regionale Großmacht setzen: um den Irak zu festigen, um für stabile Verhältnisse im Libanon zu sorgen oder um Organisationen wie Hisbollah und Hamas, die von Teheran unterstützt werden, das Wasser abzugraben.
Setzt Washington seine neue Strategie durch, würde Teherans internationale Isolation enden. Doch Obamas Offerten sind riskant. Es besteht die Gefahr, dass der Iran ihm die kalte Schulter zeigt. Dem Renommee Washingtons wäre das nicht gerade zuträglich.
Doch schon die Möglichkeit einer diplomatischen Aufwertung Irans ist für Jerusalem äußerst beunruhigend. Denn bei iranisch-amerikanischen Gesprächen kämen auch Themen auf den Tisch, die Israel direkt und existenziell betreffen – zum Beispiel das iranische Atomprogramm oder Teherans Positionen und Ambitionen in Syrien, im Libanon oder bei den Palästinensern. Wenn über Israels regionale Ur-interessen verhandelt wird, will sich Jerusalem nicht auf Stellvertreter verlassen.
Neben dem Iran gerät auch das jahrelang isolierte Syrien in das Blickfeld der USA. Die indirekten Friedensgespräche mit Israel signalisieren eine erste Annäherung an den Westen. Das wird honoriert. Im Herbst wurde Präsident Bashar Assad in Paris mit allen Ehren willkommen geheißen. Prominente US-Diplomaten verkehren in Damaskus und setzen sich im Senat für eine Lockerung der Sanktionen ein. Assads Gesandter in Washington wird wieder im Außenministerium empfangen, nachdem syrische Diplomaten in der amerikanischen Hauptstadt lange Zeit ein Mauerblümchendasein gefristet hatten. Assad hat sich allerdings noch nicht klipp und klar für den Westen entschieden. Er ist überzeugt, sowohl mit den USA als auch mit dem Iran gute Beziehungen unterhalten zu können. Doch er wird sich wohl sehr bald zwischen beiden entscheiden müssen.
Auch die mit Israel verbündete Türkei scheint ihr regionales Engagement neu auszurichten. Ankara ist auf der Suche nach seinen historischen und geografischen Wurzeln. Die neo-osmanische Identität führt dazu, dass sich Israels enger Militärpartner künftig vermehrt auch auf andere Staaten stützen könnte. Falls die Europäische Union dem Beitrittswunsch der Türkei die kalte Schulter zeigt, wird Atatürks Staat die Annäherung an den islamischen Raum intensiver vorantreiben wollen. Die Türkei hat die Freundschaft mit Jerusalem zwar nicht aufgekündigt. Aber sie ist aktiv dabei, wenn Israels Feinde – Syrien, der Irak und Iran – laut über intensivere strategische Kooperationen nachdenken.
Ein neuer Naher Osten kündigt sich an. Das muss Jerusalem beunruhigen. Denn für Israel bedeutet das: Die harmonischen Zeiten an Washingtons schützender Seite sind womöglich schon bald vorbei.