Bestattung

Der letzte Weg

von Elke Wittich

Juden bestatten ihre Toten in einem einfachen Sarg ohne Nägel. Denn Metall ist ein Symbol für Krieg, Schwert und Gewalt. Der Tote erhält ein einfaches Leichenhemd aus weißem Leinen, um daran zu erinnern, dass im Tod alle gleich sind. Viele der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion müssen diese und andere im Judentum verbindlichen Vorschriften für Bestattungen erst lernen.
Und auch, wie wichtig die heilige Gesellschaft, die Chewra Kaddischa ist, die die Tahara, die rituelle Totenwäsche durchführt und den Leichnam des Verstorbenen anschließend kleidet und in den Sarg legt.
Die Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland (ZWSt) führt seit vielen Jahren immer wieder Chewra-Kaddischa-Seminare durch, »hauptsächlich zur Auffrischung«, wie Ellen Rubinstein sagt. Mit Beginn der Zuwanderung habe es dann allerdings größere Probleme gegeben. Die Arbeit der Chewra Kaddischa wurde häufiger benötigt, außerdem wurden die Menschen, die in den Gemeinden den freiwilligen Dienst an den Toten leisteten, älter.
»Meist sind es Menschen, die in ihrer Heimat im Gesundheitswesen gearbeitet hatten, ehemalige Ärzte und Krankenschwestern«, beschreibt Rubinstein die Teilneh- mer der Chewra-Kaddischa-Seminare. »Es ist nicht jedem gegeben, sich mit einem Toten zu befassen.« Unter Anleitung eines Rabbiners lernen sie alles über die Riten und Vorschriften bei einer Beerdigung.
Dass dieser Dienst an den Toten im Judentum sehr hoch angesehen wird, ist für die Zuwanderer eine neue Erfahrung, wie Rabbiner David Goldberg bei seiner täglichen Arbeit in der Hofer Gemeinde festgestellt hat. In der ehemaligen Sowjetunion waren Berufe wie Totengräber und Bestatter schlecht angesehen, sagt Goldberg und erzählt, dass einmal ein Mann zu ihm kam und sagte, er wolle gern bei der Chewra Kaddischa mitmachen. Er habe jedoch darum gebeten: »Erzähl es bitte niemandem, sonst verspotten mich alle.«
Während die Chewra Kaddischa reibungslos funktioniere, müsse man bei den Angehörigen der Toten oft vieles erklären, sagt Goldberg. Zum Beispiel, wenn sie die Toten verbrennen lassen und anschließend auf dem jüdischen Friedhof bestatten wollen. »Verstehen kann man die Menschen natürlich schon, sie haben 70 Jahre lang weit entfernt von Religion und jüdischer Tradition gelebt. Aber es gibt nun einmal klare religiöse Gesetze.«
Die kollidieren jedoch manchmal auch mit deutschen Rechtsvorschriften: Das bürgerliche Gesetz sieht die pathologische Untersuchung einer Leiche nicht nur dann vor, wenn die Todesumstände verdächtig sind. Sondern es muss auch dann eine Obduktion erfolgen, wenn zum Todeszeitpunkt niemand anwesend war. »Das ist eine ganz schwierige Situation«, sagt Rabbiner Goldberg, denn ein Toter muss nach der Tora sofort begraben werden.« Auch die Vorschrift, nach der ein Körper vollständig beerdigt werden muss, ist nach einer Obduktion nicht immer einzuhalten. »Das Blut wird nicht aufgehoben, Körperteile werden weggeworfen«, erklärt der Rabbiner.
Die Hofer Gemeinde arbeitet mit einem örtlichen, nichtjüdischen Beerdigungsinstitut zusammen, das einen Extraraum für die Erfordernisse der Chewra Kaddischa bereitstellt. Auch in Saarbrücken hat die Gemeinde in einem nichtjüdischen Beerdigungsinstitut einen Partner gefunden, wie Marcel Wainstock, Geschäftsführer der Saarbrücker Gemeinde, erzählt. »Und das schon seit 1946. Das Unternehmen hat die erforderlichen einfachen Särge vorrätig und kennt die Riten.«
Mit Beginn der Zuwanderung, sagt Wainstock, war es »bei uns praktisch eines der ersten Dinge, Männer und Frauen für die Chewra Kaddischa zu suchen, schließlich stieg die Mitgliederzahl an.« Nun hat man in Saarbrücken »eine größere Gruppe, Damen und Herren, die sehr aktiv ist.«
Und so müssen die Hinterbliebenen von dem Moment an, an dem die Gemeinde über den Todesfall informiert wurde, kaum noch etwas tun. Die Formalien wie Ämtergänge und die Zusammenstellung der Papiere werden vom Beerdigungsinstitut erledigt. Die Gemeinde hilft nötigenfalls mit einem Dolmetscher. Danach wird der Termin für die Beerdigung auf einem der beiden jüdischen Friedhöfe in Saarbrücken oder Saarlouis angesetzt, »mit Rücksicht darauf, dass jemand von weither anreist«, sagt Wainstock.
Auch bei der Suche nach einem geeigneten Unternehmen, das den Grabstein fertigt, ist die Gemeinde behilflich. »Wir haben eine Adressliste von Steinmetzen in der Region.« In Saarbrücken gibt die Stadt für Bedürftige keine Zuschüsse zu den Grabstein-Kosten. In anderen Städten sei dies anders, weiß der Geschäftsführer. »Unsere Stadt ist so hoch verschuldet. Daher haben wir auch nie gefragt, ob eine Unterstützung nicht doch möglich wäre.« Bisher sei in den meisten Fällen mit Hilfe von Freunden und Bekannten das Geld für einen Stein zusammengekommen, »und ältere Leute haben ja oft auch ein bisschen gespart«.
Weil alles reibungslos läuft, sagt Wainstock, ehrt die Gemeinde die Mitglieder der Chewra Kaddischa in Saarbrücken besonders. »Jedes Jahr zu Mosche Ravenu, der Jahrzeit von Moses, findet der traditionelle Abend der Chewra Kaddischa statt. Dies ist der Tag, an dem die Beerdigungsbruderschaft zusammensitzt, ein festliches Essen genießt, religiöses Lernen stattfindet, aber eben anschließend auch zum gemütlichen Teil übergegangen wird.« Auch in der Rottweiler Gemeinde ist man stolz auf die Organisation, die allerdings in den vergangenen zehn Jahren kaum zu tun hatte. Drei Beerdigungen gab es in Rottweil seit 1997, sagt die Vorsitzende Tatjana Malafy. »Wir sind eine sehr junge Gemeinde, wir wachsen im Moment von innen, alle zwei, drei Monate kommt ein Baby zur Welt«, erzählt sie freudig.
Probleme habe es bei den drei Bestattungen nicht gegeben, sagt Malafy: »Wir haben der Inhaberin eines Bestattungsunternehmens erklärt, dass ein jüdischer Verstorbener gleich am nächsten Tag begraben werden soll, aus welchem Holz der Sarg be- schaffen sein muss und dass er keine Nägel aus Metall haben darf. Gleich bei der ersten Bestattung war alles einwandfrei.«
In gemischten Ehen ist manchmal die Vorstellung der Partner, nicht an einem gemeinsamen Platz beerdigt zu werden, unerträglich: »Wir haben ein altes Ehepaar, beide sind schon über 80, und der Mann ist kein Jude. Die Frau hat sich entschieden, an seiner Seite auf einem nichtjüdischen Friedhof beerdigt zu werden.« »Partner in einer Mischehe sollten so früh wie möglich über das Thema Bestattung reden«, rät Rabbiner Goldberg. »Wenn der nichtjüdische Partner für seinen Ehegatten keine Beerdigung auf einem jüdischen Friedhof wünscht, dann kann ich nur versuchen, ihm zu erklären, warum es aus der Sicht des Judentums so wichtig ist.«

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