Leo Trepp

Der letzte seiner Art

von Igal Avidan

Eigentlich sollte Rabbiner Leo Trepp ein rundum glücklicher und zufriedener Mann sein. Mit 93 wirkt er trotz seiner wackeligen Beine total fit. Als er bei der Eröffnungsgala des diesjährigen Jewish Film Festivals im Berliner Ensemble als letzter Rabbiner aus der Vorkriegszeit begrüßt wird, erhält er lauten Beifall. Manche sehen zweimal hin, sie beneiden ihn wohl um seine glückliche Ehe mit seiner viel jüngeren Frau Gunda. Und als die amerikanische Kantorin Roslyn Barak mit einem alten jiddischen Lied auftritt, singt Trepp leidenschaftlich mit.
Aber nach anderthalb Stunden Gespräch in seiner eleganten Berliner Wohnung seufzt Trepp plötzlich bei der Frage, ob er befürchtet, daß der Holocaust in Vergessenheit geraten werde, wenn die Zeitzeugen nicht mehr leben. »Ich hoffe nicht, aber ich habe Furcht«, gibt er zu und wendet sich seinem gesundheitsschädigenden Hobby zu: der Pfeife. Dabei hat er mehr als jeder andere zum deutsch-jüdischen Verständnis beigetragen – durch seine zahlreichen Bücher und Vorlesungen und als Honorarprofessor an der Universität Mainz.
Besorgt ist Trepp auch wegen des wachsenden Antisemitismus in Deutschland, den er einen Virus nennt, »der zuerst die Opfer verschlingt und dann die Träger«. Judenhaß sei wieder salonfähig geworden. »Auf der einen Seite sind es die Nationalisten, auf der anderen die Islamisten. Und Israel und die Juden sind der Sündenbock.« Manchmal fragt er sich: Wie weit hat das, was ich tun wollte, gewirkt? »Ich unterrichte meistens christliche Religionslehrer und Pfarrer und sage ihnen: ›Ihr seid die besten Kämpfer gegen den Antisemitismus, und ihr müßt das tun’. Die jungen Deutschen haben keine Schuld an den Taten ihrer Großeltern, wohl aber eine Verantwortung. Deutschland muß das führende Land im Kampf gegen den Antisemitismus werden.«
Trepp hat die Folgen des deutschen Antisemitismus hautnah erlebt. Detailreich schildert er die permanente Angst, mit der er nach Hitlers Machtergreifung 1933 lebte. Nach Abschluß des Rabbinerseminars in Berlin ging er dennoch nach Oldenburg, um als Landesrabbiner den dort ansässigen 15 kleinen Gemeinden beizustehen, die unter dem virulenten Judenhaß litten. Predigen mußte er sehr vorsichtig, »denn Gestapo-Agenten saßen in der letzten Bank.« Erkannt hat er sie dadurch, daß sie keine Kopfbedeckung trugen. »Ich mußte daher von einer uralten Geschichte predigen. Aber die Gemeinde wußte, daß ich mich auf die Gegenwart beziehe.«
Am Morgen nach der »Reichskristallnacht« 1938 muß Trepp zusammen mit allen anderen jüdischen Männern durch die Stadt an der zerstörten Synagoge vorbei marschieren. »Irgendwie war man vollkommen gelähmt. Man hat sich die Leute angesehen, die gemütlich Pfeifen rauchen, grinsend und lachend.« Auf dem Paradeplatz im KZ-Sachsenhausen muß er sich das Gebrüll des SS-Kommandanten anhören, die Juden seien der Abschaum der Menschheit und verdienten nicht zu leben. Trepp erwartet den Erschießungsbefehl und betet das »Schma Israel«. Der Befehl kommt nicht.
Nach seiner Entlassung telegraphiert seine Frau Miriam an den Oberrabbiner in London: »Das Schiff ist gesunken.« »Meine Gemeinde war dahin, und ich lebte in einer fürchterlichen Angst. Wenn das Telefon oder die Türglocke schellte, sperrte ich mich in den Schrank vor Angst.« Doch es kam Hilfe aus London, das Ehepaar konnte nach England auswandern. Die deutsche Familiengeschichte der Trepps, die 1450 in Fulda begann, wo sie als Hofärzte der städtischen Fürsten alle Judenvertreibungen überstanden hatten, war zu Ende.
Obwohl seine Mutter Selma von den Nazis ermordet wurde, besucht Trepp Deutschland seit Jahren. Sein Zuhause sei aber Amerika. Einen deutschen Paß lehnt er ab. Aus der Ferne begnügt sich Trepp jedoch nicht mit der Rolle des Zeitzeugen. So half er beim Aufbau der jüdischen Gemeinde in Oldenburg und bezieht immer wieder klar Stellung zu aktuellen Fragen des Judentums. »Das deutsche Judentum kommt so schnell nicht wieder, nirgendwo in der Welt«. Aber den Aufbau jüdischen Lebens in Deutschland begrüßt er. In Oldenburg entstand eine »ideale Gemeinde«, in der die russischen Juden »vollkommen« integriert worden seien. Die Zukunft anderer Gemeinden hänge von den Rabbinern ab, sagt Trepp. Entscheidend sei, ob sie eine moderne Ausbildung haben und fähig sind, den russischen Juden mit Liebe entgegenzukommen. Nicht zuletzt bei Konversionen.
»In Amerika gibt es Gemeinden, in denen die Hälfte oder mehr einschließlich des Rabbiners Giorim (Konvertiten) sind. Sie tun unendlich viel für das Judentum. Wir haben sechs Millionen Juden verloren und müssen daher jeden aufnehmen, der aus innerem Bewußtsein Jude werden will, auch wenn eine Frau Jüdin wird, weil sie einen Juden heiraten will. Wir sind in der Situation, daß das Haus brennt, und da kann man zur Feuerwehr nicht sagen: ›Ihr habt rote Schläuche, ich will aber nur grüne Schläuche gegen das Feuer’.« Angesichts der vielen gemischten Ehen plädiert Trepp für Toleranz. Für ihn kann ein Baby durch das Eintauchen in die Mikwe oder die Beschneidung jüdisch werden, auch wenn die Mutter selbst nicht konvertiert. »Das Kind kann, wenn es Barmizwa wird, entscheiden, ob es Jude werden will.«
Leo Trepp fühlt sich immer wieder erleichtert, wenn er in San Fransisco durch die Paßkontrolle geht und mit den Worten begrüßt wird: »Willkommen in Amerika«. Nach einem kurzen Besuch in Prag im August wird er diesen Gruß wieder lesen, rechtzeitig zu den Hohen Feiertagen – und zum Beginn der Opernsaison.

Rabbiner Leo Trepp hält am Donnerstag, dem 29. Juni, um 20 Uhr einen Vertrag im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin.

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