muslimisches Leben

Der lange Weg zur Freiheit

von Miryam Gümbel

»Im Wissen um den Anderen« ist der Titel einer gemeinsamen Vortragsreihe der Literaturhandlung und der Israelitischen Kultusgemeinde unter Beteiligung der B‹nai B‹rit Loge München. Denn nur mit diesem Wissen, so Initiatorin Rachel Salamander, »lassen sich Vorurteile und Fremdgefühle abbauen.« Nach einer ersten Lesung mit der 1969 in Mogadischu/Somalia geborenen Kämpferin für Aufklärung und Freiheit im Islam, Ayaan Hirsi Ali, sprach in der vergangenen Woche Necla Kelek im voll besetzten Gemeindezentrum. »Freiheit und Verantwortung. Über muslimisches Leben in Deutschland« war der Titel dieses Vortrages. Die Soziologin Kelek untersucht in ihren Büchern und Veröffentlichungen die Bruchstellen unserer Einwanderergesellschaft. Die Ursachen sind vielfältig und liegen tief. Religion spielt dabei eine wichtige Rolle, ebenso wie tradierte Lebensauffassungen.
Professor Michael Wolffsohn stellte die promovierte Sozialwissenschaftlerin, Autorin und Publizistin vor. Ihr Buch Bittersüße Heimat. Bericht aus dem Inneren der Türkei, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, war 2008 auf der Frankfurter Buchmesse auch im Rahmen »Gastland Türkei« vorgestellt worden. Zunächst ausgebildet zur technischen Zeichnerin, studierte sie in Hamburg und Greifswald Volkswirtschaft und Soziologie, promovierte 2001 über das Thema »Islam im Alltag«. Necla Kelek wurde 1957 in Istanbul geboren. Als Kind kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Die Bedeutung von Religion und Tradition mündet für Kelek nahezu selbstverständlich in die Bereiche Migration und Integration. Ihr Engagement beschränkt sich dabei nicht nur auf Forschung und Lehre. Sie ist auch ständiges Mitglied der Deutschen Islam- Konferenz. Necla Kelek, heute deutsche Staatsbürgerin, wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels, dem internationalen Sachbuchpreis Corine, mit dem Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München und zuletzt 2009 mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis. 2006 übernahm sie die Mercator-Professur der Universität Duisburg-Essen.
»Was verbindet uns?« Auf diese seine Frage gab Wolffsohn eine Antwort: »Zunächst vor allem das Humanum, das Bekenntnis zur Menschlichkeit im Mensch-Sein.« Verbindendes mit der deutschen Umgebung gab es für die heranwachsende Necla Kelek zunächst nur bedingt. Eindrucksvoll beschrieb sie das an einem Beispiel, wie sie am Fenster sitzend die anderen Kinder beobachtete, die auf der Straße Fahrrad fuhren. Sie durfte nicht mitmachen. Die westliche Art von Freiheit bedeutete für ihre besorgte Mutter »vogelfrei zu sein, schutzlos und den Männern ausgeliefert«. Freiheit muss man lernen, betont Kelek. Die Unterschiede in der Auffassung fingen jedoch bereits in der Sprache an. Das türkische Wort für Freiheit, Hürriyet, bedeute nicht die europäische Freiheit im Kant‹schen Sinne, sondern die Freiheit von Sklaverei. Ebenso wie bei dieser unterschiedlichen Auffassung von Freiheit bestünden auch Differenzen bei der Definition von Religionsfreiheit. Die Reihe der problematischen Begriffe lässt sich noch erweitern: Verantwortung, Ehre, Selbstbestimmung, Vergebung und Vergeltung. Ein Grund, wie Rachel Salamander später meinte, warum sich die Integration von Muslimen in die Mehrheitsgesellschaft häufig schwieriger gestaltet als die von anderen Migranten. Eine solche Interpretation könne durchaus zu Parallelgesellschaften führen, zu Zwangsheirat und zu kleinen Mädchen mit Kopftüchern. All das sind Bereiche, in denen sich Necla Kelek engagiert einbringt.
In Deutschland leben heute rund 15 Millionen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, drei Millionen von ihnen sind Muslime, 2,5 Millionen sind Türken, erläutert sie. Die seinerzeitige Arbeitsmigration habe beiden Seiten Vorteile gebracht. Die Mehrzahl der Zu- und Einwanderer habe sich in die deutsche Gesellschaft integriert und zum Teil assimiliert. Es gäbe aber auch verschiedene Gruppen, die diesen Schritt nicht gemacht haben. Was türkische Frauen betrifft, die den Schritt geschafft haben, so vergäßen diese oft ihre kulturellen Prägungen. Auch das findet Necla Kelek nicht gut: Notwendig sei ein Wertekonsens, der Respekt vor dem anderen sei dabei eine wichtige Grundlage. Wesentlich seien zudem Sprachkenntnisse: »Ohne Sprache gibt es keine Teilhabe. Aber nur mit Sprache allein kann Integration nicht gelingen«, betont Kelek.
Wie stehen also die Chancen für eine Vermeidung von Parallelgesellschaften? »Es klingt nach einem sehr, sehr langen Weg«, meinte Rachel Salamander, als sie die Diskussion mit dem Publikum eröffnet. »Kann sich auch die Allgemeinheit einsetzen, um Parallelgesellschaften zu verhindern?«, das war eine Frage, die viele der Vortragsbesucher bewegte. Da ging es dann um die Frage, ob die Struktur des Islam in Deutschland mit derzeit fünf großen Verbänden so strukturiert sei, dass er eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts sein könne. Für ihre Forderung, dass »die Moscheen entpolitisiert« werden müssen, bekam Kelek großen Applaus. Damit allein ist es nicht getan. Necla Keleks Appell: »Wenn die Gesellschaft dem Individuum hilft, dann kann das Miteinander gelingen.« Die Frauenrechtlerin erinnerte daran, dass auch in Deutschland der Weg zu Emanzipation und Säkularisierung lang war.

Wittenberg

Luthergedenkstätten untersuchen ihre Sammlung auf NS-Raubgut

Zwischen 1933 und 1945 erworbene Objekte werden analysiert

 19.02.2025

Braunau

Streit über belastete Straßennamen im Hitler-Geburtsort

Das österreichische Braunau am Inn tut sich weiter schwer mit seiner Vergangenheit. Mehrere Straßen tragen nach wie vor die Namen bekannter NS-Größen. Das soll sich nun ändern

 13.02.2025

Bund-Länder-Kommission

Antisemitismusbeauftragte fürchten um Finanzierung von Projekten

Weil durch den Bruch der Ampel-Koalition im vergangenen Jahr kein Haushalt mehr beschlossen wurde, gilt für 2025 zunächst eine vorläufige Haushaltsplanung

 12.02.2025

Österreich

Koalitionsgespräche gescheitert - doch kein Kanzler Kickl?

Der FPÖ-Chef hat Bundespräsident Van der Bellen über das Scheitern der Gespräche informiert

 12.02.2025

Düsseldorf

Jüdische Zukunft: Panel-Diskussion mit Charlotte Knobloch

Auf dem Podium sitzen auch Hetty Berg, Armin Nassehi und Philipp Peyman Engel

 11.02.2025

Sport

Bayern-Torwart Daniel Peretz trainiert wieder

Der Fußballer arbeitet beim FC Bayern nach seiner Verletzung am Comeback

 09.02.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  05.02.2025

USA/Israel

Trump empfängt Netanjahu im Weißen Haus

Als erster ausländischer Staatsgast in Trumps zweiter Amtszeit kommt der israelische Regierungschef nach Washington. In dem Republikaner hat der israelische Besucher einen wohlwollenden Unterstützer gefunden

 04.02.2025

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025