von Matthias B. Krause
New York im August. Der Verlierer gibt sich alle Mühe, wie ein Gewinner auszusehen. Joseph Lieberman reckt die Faust in die Luft und applaudiert seinen Anhängern, die ihm mit Jubelschreien empfangen, als er auf die Bühne tritt. Zwar steht schon fest, daß der demokratische Senator die Vorwahlen im Bundesstaat Connecticut gegen seinen Herausforderer Ned Lamont mit vier Prozentpunkten Rückstand verloren hat, aber das sei nur der Anfang, verspricht er: »Wir haben gerade die erste Hälfte hinter uns, und das Lamont-Team liegt vorne. In der zweiten Halbzeit wird unser Team voranstürmen zu einem Sieg im November.«
Nun handelt es sich bei dem Kampf um den Senatorensessel in Washington aber nicht um eine Sportveranstaltung. Die Niederlage des altgedienten Lieberman gegen den unbekannten Herausforderer Lamont markiert vielmehr einen wichtigen Erfolg der Anti-Kriegs-Fraktion innerhalb der Demokraten, der viele in der Partei zittern läßt. Lieberman wurde zum Verhängnis, daß er wie 28 seiner Parteikollegen Präsident George W. Bush im Oktober 2002 grünes Licht für den Irak-Krieg gab. Von Natur aus eher im rechten Spektrum seiner Partei zu Hause, äußerte er sich zudem ein ums andere Mal positiv über Fortschritte in dem vom Weißen Haus ausgerufenen Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Ned Lamont, ein vermögender Geschäfts-
mann aus dem Millionärs-Ort Greenwich vor den Toren New Yorks, bot statt eines erschöpfenden Wahlprogramms eine simple Botschaft: Wenn ihr gegen den Irak-Krieg seid, wählt mich, nicht Bushs besten demokratischen Freund Lieberman. Als eindrückliche Illustration seiner These diente ihm ein Bild aus dem vergangenen Jahr. Nach seiner Rede an die Nation hatte der Präsident auch Lieberman herzlich umarmt und ihm einen Kuß auf die Wange gedrückt. Eine Geste, die sich als politisch tödliches Gift erwies. Er wolle Bushs verfehlte Außenpolitik reparieren, versprach Lamont auf seiner Siegesfeier, »es ist höchste Zeit, unsere Soldaten zu einem Heldenempfang nach Hause zu bringen«. Der Erfolg des Außenseiters stürzt die Demokraten und mit ihnen einen großen Teil des jüdischen Wahlvolks gleich in ein Meer von Ungewißheiten. Zum einen müssen sich die beiden potentiellen Präsidentschaftskandidaten für 2008, Hillary Clinton und Mark Warner überlegen, wie sie ihren Anhängern ihre Ja-Stimme zum Irak-Krieg überzeugender verkaufen als Lieberman.
Außerdem droht der Senator, der 2000 als erster jüdischer Politiker Amerikas unter Al Gore das Amt des Vizepräsidenten anstrebte und 2004 selbst einen Anlauf auf das Präsidentenamt unternahm, die Partei zu spalten. Seine Niederlage in der Vorwahl war noch keine 24 Stunden alt, da kündigte Lieberman an, daß er als Unabhängiger weitermachen werde. Damit ist das Kandidatenfeld im November auf drei gewachsen, neben ihm und Lamont strebt der republikanische Kandidat Alan Schlesinger den Senatorenposten an. Umfragen zeigen, daß Lieberman in dieser Konstellation gute Erfolgschancen hat. Die Demokraten jedoch mußten notgedrungen Lamont Unterstützung versprechen, würden sie sonst doch den Willen der Wähler mißachten.
»In so einem schwierigen Moment erkennt man, wer seine Freunde sind«, sagt Lieberman-Berater Dan Gerstein. Er ist sich sicher, daß die jüdischen Gemeinden ihn weiter unterstützen würden. Bei seinem Anlauf auf das Präsidentenamt vor zwei Jahren waren seine Glaubensbrüder allerdings weit weniger spendabel gewesen, als allgemein erwartet. Und im Augenblick ist Lieberman vielen der 111.000 Juden im Bundesstaat Connecticut (drei Prozent der Gesamtbevölkerung) schlicht zu konservativ. Der Kandidat denkt unterdessen gar nicht daran, klein beizugeben. »Ich habe verloren, weil die alte parteipolitische Polarisierung gewonnen hat«, sagt er. »Zum Wohl unseres Landes und meiner Partie kann ich dieses Ergebnis nicht stehenlassen.« Das klingt allerdings, als habe er die Wut der Basis immer noch nicht begriffen.