von Chris Meyer
George Dreyfuss hat seine Beine übereinander geschlagen, lehnt sich zurück und schaut erwartungsvoll und voller Tatendrang den Lehrer an. Die Schüler der drei dritten Klassen der Heinz-Galinski-Schule sitzen mittlerweile auch auf ihren Plätzen und blicken ebenfalls gespannt nach vorne, aber mehr auf den Zeitzeugen, Komponisten und Fagottisten als auf ihren Lehrer. Denn über George Dreyfuss haben sie im Unterricht schon viel gelernt und sich Fragen überlegt, die sie nun dem 79-Jährigen stellen wollen. Der Klassenlehrer und Initiator dieses Gespräches, Henry Sapparth, hat einen CD-Player mitgebracht und möchte doch erst einmal die Musik von Dreyfuss vorspielen. »Wozu das denn?«, winkt der Musiker rigoros ab. Das sei doch nicht nötig. Er möchte erst einmal – sozusagen zum Aufwärmen – das Lied von »Sebastian, the fox« mit ihnen singen, denn die Schüler haben ja noch einen wichtigen Auftritt vor sich. In der Reihe »Erzählmusik« im Opernhaus Unter den Linden wird ein Stummfilm ausgestrahlt, zu dem George Dreyfuss vor einigen Jahrzehnten die Musik geschrieben hat und die nun von einem kleinen Orchester an-
gestimmt wird. Mit dabei: Die dritten Klassen der Heinz-Galinski-Schule, die das Lied singen sollen.
Er hebt seine Arme und fragt: »Kennt ihr den Text?« Einstimmiges Kopfnicken. Dann singt er das Lied über den Fuchs vor und einige Kinder fallen prompt mit ein. Beim Refrain sind dann alle dabei. »That’s Sebastian, the fox«, rufen sie. Der Musiker winkt dankend ab. Nun sollen die Kinder ihm die Fragen stellen. Alle melden sich gleichzeitig.
»Wie war es auf dem Schiff, als du nach Australien gefahren bist?«, fragt Miron. Sehr, sehr langweilig sei es gewesen, denn er und die anderen16 Kinder konnten nur essen und schlafen. »Das ist schlimmer als Schule«, sagt Dreyfuss. Die Schüler kichern leise. Es gab auch kein Spielzeug und alle waren traurig, weil sie ohne ihre Eltern ausreisen mussten, meint der 79-Jährige, der elf Jahre alt war, als er aus Nazi-Deutschland verlassen konnte. Aber er und die Kinder hätten gewusst, dass sie in Australien in Sicherheit sein würden und dass ihnen dort nichts mehr passieren würde. Er habe indes großes Glück gehabt, denn seine Eltern folgten ihm sechs Monate später nach.
Ob er ein Lieblingsspielzeug hatte, möchte Aron wissen. »Ich besaß als Kind eine Märklin-Eisenbahn, die ich aber nicht nach Australien mitnehmen konnte«, sagt Dreyfuss. Als er in den 50er-Jahren nach Europa zurückkehrte, um Musik zu studieren, da kaufte er sich als Erstes eine neue Eisenbahn. »Ich habe keine Hobbys, nur die Märklin-Eisenbahn – bis heute.« Aufmerksam hören die Drittklässler zu und müssen dann schmunzeln.
»Lieber Herr Dreyfuss, hast du schnell Englisch gelernt?« fragt Sean. Sofort, meint der Komponist, denn im Kinderheim durften sie nicht Deutsch sprechen. Und sie mussten gleich am nächsten Tag zur Schule gehen. Nur abends heimlich im Schlafsaal hatten sie noch ihre Muttersprache gesprochen. Stille bei den Kindern.
Ob er denn auch einen Lieblingskomponisten hätte? Da trommelt er sich selber auf die Brust, lacht vergnügt und sagt nur ein Wort »Mich«.
»Hattest du denn auch viele Freunde?« Nicht so viele, meint er, denn er war nicht immer freundlich. Außerdem musste er immer sein Instrument, das Fagott, üben und hatte nicht so viel Zeit zum Spielen. Sein Vater wollte nicht, dass er Musiker würde, aber seine Mutter unterstützte ihn.
Eine Stunde haben die Schüler nun schon Fragen gestellt und werden immer unruhiger und sie wiederholen sich allmählich. »Ich glaube, es reicht nun«, sagt Henry Sapparth, der Dreyfuss vor zwei Jahren bei einem seiner Deutschlandbesuche kennengelernt und ihn prompt zu einem Besuch in die Schule eingeladen hatte. »Ich fand es gut, denn er hat alles beantwortet«, sagt die achtjährige Isabell. Am spannendsten fand sie, wie er »sich auf dem Schiff gefühlt hat« – so ohne El-
tern. Und nun steht sie an, um ein Autogramm von ihm zu bekommen. Denn seine Musik findet sie »cool«.