von Martin Krauss
»Es wird für mich der größte Fight meines Lebens«, sagt Hagar Shmoulefeld Finer. Die Israelin ist 23 Jahre alt und hat einen ungewöhnlichen Beruf: Boxerin. An diesem Freitag fordert sie in Karlsruhe Regina Halmich heraus. Dann kann die einzige israelische Profiboxerin sogar die erste seriöse Boxweltmeisterschaft für Israel erreichen. Jüdische Boxweltmeister gab es schon einige, israelische noch nie.
Dass ihr das gelingt, ist keinesfalls ausgemacht, sogar eher unwahrscheinlich. Denn Regina Halmich, ihre Gegnerin, ist seit zwölf Jahren unumstrittene Weltmeisterin des Verbandes WIBF im Fliegengewicht. Am Freitagabend will sie sich mit einem Sieg in ihrer Geburtsstadt Karlsruhe vom aktiven Sport zurückziehen, und das ZDF, das die Veranstaltung überträgt, wird ihr zu Ehren eine Gala inszenieren, wie es sie noch nie für eine Boxerin gegeben hat. Was die gerade 31 Jahre alt gewordene Halmich für das deutsche Frauenboxen bedeutet, wird auch klar, wenn man sich das Drumherum des Kampfes anschaut: Halmich ist die einzige Boxerin Deutschlands, die als Hauptkämpferin präsentiert wird, während die starken Männer alle ins Rahmenprogramm, die sogenannte Karte, verbannt werden.
Gehört Shmoulefeld Finer auch in die Kategorie »Rahmenprogramm«? So einfach wird es wohl nicht. »Ich kenne Regina ja gut«, sagt die Israelin. Vor vielen Jahren war sie ihre Sparringspartnerin. »Aber damals war ich noch Anfängerin. Nun bin ich stärker geworden. Ich verändere mich ständig. Regina aber ist schon alt, sie verändert sich nicht mehr.« Nichts spricht allerdings dafür, dass Halmich, die sich seit Monaten auf den Kampf vorbereitet, ihre israelische Gegnerin unterschätzen wird. »Es wird eine Ringschlacht geben«, glaubt Halmich und fügt hinzu: »Ich weiß, meine Gegnerin wird top vorbereitet sein.«
Das wird sie. Seit vier Monaten trainiert Shmoulefeld Finer, die den Titel des WIBF-Intercontinental-Champs trägt, nur für diesen Kampf. Sie hat auch weniger Angst vor Halmich als vor deutschen Punktrichtern. »Ich hoffe auf faire Kampfrichter«, sagt sie, »und das könnte ein Problem werden. Es ist schließlich Reginas letzter Kampf.«
Shmoulefeld Finer hat Erfahrung mit WM-Kämpfen und mit Fights in Deutschland. Im Juni 2005 boxte sie gegen die Ungarin Reka Krempf um den vakanten Titel im Superfliegengewicht – und verlor umstritten nach Punkten. Im Januar 2006 boxte sie in Hamburg gegen die Deutsche Julia Sahin – und verlor knapp mit 2:1-Richterstimmen nach Punkten. »Ich habe das Ding in Hamburg damals ganz anders gesehen – für Hagar«, sagt Jürgen Lutz. Und der muss es wissen, denn der Mann aus Karlsruhe ist der Entdecker von Regina Halmich, ist Funktionär des Frauenprofiverbandes WIBF und veranstaltet seit vielen Jahren erfolgreich Boxabende. »Hätte der Kampf in Israel stattgefunden«, sagt Lutz, »wäre Hagar die Siegerin gewesen.« Sogar Shmoulefeld Finers Gegnerin von damals, Julia Sahin aus Köln, sagt: »Das ist wirklich nicht mein Tag gewesen. Ich war sehr müde und kaputt damals.«
Dass sich Shmoulefeld Finers Rolle in Karlsruhe nur auf Staffage für eine große Halmich-Gala beschränken wird, bestreiten sowohl Lutz als auch Sahin. »Wenn Hagar Angst vor den Kampfrichtern hat, soll sie nicht antreten«, sagt Sahin, »aber wenn jemand zu Hause boxt – noch dazu die Weltmeisterin –, ist doch klar, dass man deutlich gewinnen muss. So ist es überall auf der Welt.« Der deutlichste Sieg wäre einer durch K.o.. Keine Unmöglichkeit gegen Halmich, meint Sahin, mittlerweile selbst WIBF-Weltmeisterin im Halbfliegengewicht. »Einen K.o. traue ich je- dem zu, der boxen kann. Und Shmoulefeld kann gut boxen. Sie ist sehr stark. Bei dem Kampf gegen mich ist sie fast nonstop nach vorne marschiert.« Und Jürgen Lutz verweist auf die internationale Zusammensetzung des Kampfgerichts, um die Befürchtungen der Israelin zu zerstreuen. »Es wird keine Deutschen im Kampfgericht geben.«
Lutz kennt Shmoulefeld schon lange. Er hat schon einige Kämpfe für sie organisiert. In Ermangelung eines eigenen Kampfnamens, der bei Boxern meist recht martialisch klingt, nennt sich Shmoulefeld »Super«. »Jürgen ruft nämlich immer ›super, super‹, wenn ich boxe«, begründet sie die ungewöhnliche Wahl. Besagter Jürgen Lutz sieht Shmoulefeld Finers Kampf gegen Halmich in erster Linie als Chance. »Hagar kann für Israel so etwas werden, was Regina für Deutschland wurde«, sagt er. Halmich, die als 18-Jährige mit dem Profiboxen anfing, startete mit mickrigen Kampfbörsen und erntete viel Häme. Im Laufe der letzten zwölf Jahre hat sie sich nicht nur Respekt erboxt, sondern auch viel Geld.
Für den Fight in Karlsruhe soll Halmich, so hört man, eine Kampfbörse von einer Million Euro erhalten, Shmoulefeld Finer 10.000 Euro. Halmich kann vom Profiboxen leben, andere wie Shmoulefeld Finer oder auch Julia Sahin haben noch reguläre Jobs und trainieren am Feierabend. Shmoulefeld Finer arbeitet als Kampfsporttrainerin in Tel Aviv. »Da habe ich viel mit Jugendlichen zu tun«, sagt sie. »Im Profiboxen bin ich in Israel Pionierin.«
Es scheint, als ob ihre Pioniertaten auf fruchtbaren Boden fallen. »Ein paar künftige Profiboxerinnen aus Israel kenne ich schon«, sagt Jürgen Lutz, der sich gerade als Talentscout einen guten Namen gemacht hat. Bei den Männern ist die Szene schon weiter. »Es ist nicht so ausgebreitet wie in Deutschland. Aber es entwickelt sich gut«, sagt Shmoulefeld Finer. »Wir haben mittlerweile viele Gyms hier.« Sie selbst trainiert im größten, dem C.M.A.-Gym in Tel Aviv. Die Abkürzung steht für Combined Martial Arts, kombinierter Kampfsport. Der Besitzer des C.M.A.-Gyms, Ra’anan Tal, ist auch ihr Trainer und Manager. Er tut viel dafür, das Profiboxen nach Israel zu bringen. Seit dem Jahr 2000 gibt es die »Israel Professional Boxing Organization« (IPBO). Tal schätzt die Zahl der Gyms in Israel auf zwölf, die Zahl der Boxer auf 500. Eine gute Kooperation hat er mit einem Promoter im amerikanischen Philadelphia aufgebaut. Dorthin schickt er seine Boxer zu Aufbaukämpfen. Etwa 500 bis 700 Euro sind dort zu verdienen. »Das ist nicht viel«, sagt Tal, »aber man tut es nicht fürs Geld. Das ist zwar nett, aber man kämpft für etwas, das in einem drin ist. Ich liebe den Kampf, ich liebe den Ring, ich liebe die Anspannung vor einem Kampf, ich liebe es zu gewinnen. All das zusammengenommen ist Boxen.«
Tal hat zwei aussichtsreiche männliche Boxer unter Vertrag: den Superleichtgewichtler Elad Shmouel und den Schwergewichtler Ran Nakash. Nicht bei Tal, sondern bei anderen Managern boxen noch die Israelis Yuri Foreman und Roman Greenberg. Der Mittelgewichtler Foreman lebt in New York, Schwergewichtler Greenberg (vgl. Jüdische Allgemeine vom 6. Januar 2005) in London. Mit Dmitriy Salita gibt es einen weiteren jüdischen Boxer in der erweiterten Weltspitze, einen ukrainischen Superleichtgewichtler, der in New York lebt und sich »Star of David« nennt. Aber der erste von all diesen talentierten Kämpfern, der es schaffen könnte, den WM-Gürtel umgelegt zu bekommen, ist eine Frau – Hagar Shmoulefeld Finer.
Haben die Männer immerhin ein bisschen Öffentlichkeit, wenn sie in Philadelphia oder in Tel Aviv boxen, so hat Shmoulefeld Finer bislang mit viel Ignoranz und Schweigen zu kämpfen. »Bis zum heutigen Tage nehmen uns die Medien hier nicht ernst«, schimpft sie. »Ich hoffe, dass sich das bald ändert. Etwa, wenn ich gegen Halmich erfolgreich sein sollte.« Während das deutsche Fernsehen sich schon jetzt auf eine Traumquote zur besten Sendezeit freut, wird kein israelischer Fernsehsender den Kampf zeigen. Angeblich verlangt die Universum-Boxpromotion, bei der Halmich unter Vertrag ist und die die Rechte am Kampf besitzt, 2.500 Euro pro Sendeminute. »Das ist zu viel«, sagt Shmoulefeld Finer, »das zahlt hier in Israel kein Sender.«
Jürgen Lutz sieht auch das mit den Fernsehrechten optimistischer. »Es wird zwar in Israel nicht live übertragen, aber ein Filmteam wird da sein und eine große Dokumentation erstellen«, sagt er. »Die dürfen sogar in der Kabine drehen. Wenn Shmoulefeld Finer gewinnt, dann will das jeder sehen.« Sie muss ihre Chance nur noch nutzen.