von Alan Posener
Vorweg: Der Film Mein Führer ist langweilig – als hätte man Charlie Chaplins Großen Diktator mit Oliver Hirschbiegels Untergang gekreuzt und dabei den Ernst des Chaplin-Geniestreichs und die Komik des Hirschbiegel-Klamauks vergessen (vgl. S. 9). Dafür trägt Regisseur Dani Levy die volle Verantwortung. Für die Rezeption des Films trägt er immer noch die halbe Verantwortung. Denn natürlich wusste Levy, dass es immer auch um ihn gehen würde. »Der Jud tut gut«, jubelt Levys Führer. Und meint seinen alten Schauspiellehrer Grünbaum, der dem depressiven Hitler hilft, zur alten Form zurückzufinden. »Der Jud tut gut«, jubelt das Feuilleton. Und meint Levy. Denn er »sagt Sätze, für die ihn Deutschland umarmen wird«, wie etwa Horst von Buttlar im Entscheiderblatt Financial Times Deutschland meint. (Und er ist typisch). Denn »wir erinnern uns an die verschämten Scherze auf Stehpartys« (was Entscheider halt so reden, wenn sie untereinander sind), die nun die höhere Weihe erhalten, die einzige höhere Weihe, die in Deutschland etwas gilt: die des Juden. So dass der Feuilletonist gleich einen Stehpartyscherz hinterher schiebt: »Der Regisseur Dani Levy ist Jude. Darf man sagen: Wenn das der Führer wüsste?« Höhöhö.
»Wir bringen das jüdische Gelächter nach Deutschland zurück«, glaubt Levy. Aber abgesehen davon, dass Ernst Lubitsch oder Billy Wilder in einer anderen Liga spielten: Es bleibt eben Importware. Nachdem er geschildert hat, wie die Juden Levy, Ralph Giordano und Henryk M. Broder die Sache mit dem Lachen über Hitler sehen, atmet von Buttlar kräftig durch: »Wenn nun wir Deutschen in den nächsten Tagen und Wochen ins Kino gehen und diesen Film ansehen werden, schauen wir uns im Grunde auch selbst an …« Eben. Dort die Juden. Und hier »wir Deutschen«, die nichts lieber tun als »sich selbst anschauen«. Ein perverser Striptease vor dem Spiegel, für den man sich danach hasst – vor allem aber die Juden hasst, die einen angeblich dazu zwingen. Levys Film durchbricht dieses Muster nicht. Er bedient es.
Keine Besprechung, in der nicht betont wird, der »Jude Dani Levy« sei der Meinung, man könne »auch als Deutscher« über Hitler lachen. Über die Religionszugehörigkeit des Hitler-Darstellers Helge Schneider habe ich nirgendwo etwas gelesen. Aber es geht ja nicht um Levys Gott. Es geht um seine Gene. Früher hätte man gesagt: um sein Blut. Und das Judenblut, früher eher von Nachteil, verleiht seinem Besitzer heute einen Vorteil. Was ihn früher zum Unberührbaren machte, macht ihn heute zum Unantastbaren.
Wenn’s ein wenig heikel wird, schiebt man gern einen Juden vor. Juden an die Front. Die dürfen laut sagen, was der Arier am Stehtisch murmelt. Für jede nicht ganz koschere Haltung findet man im deutschen Geistlosenleben einen Vorzeigejuden: gegen Holocaustindustrie, Schoa-Geschäft, ewige Schuld, monumentalen Mahnmalbau und Israel-Hörigkeit; für ein gesundes Nationalbewusstsein, das Heraustreten aus dem Schatten der Vergangenheit, das Antasten von Tabus, das »Man wird ja noch sagen dürfen …« Selbst der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann fand einen Oberrabbiner, der sich nicht entblödete, das Gerede vom »jüdischen Tätervolk« zu verteidigen und eins draufzusetzen, indem er den Zionisten eine Mitschuld am Holocaust unterstellte. Wobei nicht interessant ist, dass ein Ultraorthodoxer so denkt, sondern dass Hohmann seinen Segen suchte. Es ist ja nicht so, dass der Mann aus Fulda Philosemit wäre. Sondern dass er glaubt, seinen Mitbürgern einreden zu können, rassistischer Unsinn sei nicht rassistischer Unsinn, wenn er aus dem Mund eines Juden kommt. Per Rasse wird der Jude zur moralischen Instanz: auch und gerade wenn es darum geht, andere Juden zu kritisieren. Kein Israel-Feind, der nicht ein paar Israelis vom linken oder rechten Rand zitieren kann, als ob er dadurch unantastbar würde.
Juden, die das tun, was der Anstand und der Selbsterhaltungstrieb von ihnen verlangen, nämlich Rassismus in jeder Gestalt, Antisemitismus und Antizionismus zu kritisieren, sind zwar politisch korrekte Langweiler. Werden aber als Watschenmänner gebraucht. Egal, welche Folge der öden Dauerserie »Deutschland bewältigt die Vergangenheit vorbildlich – ups, doch nicht« gesendet wird, und wer darin die Hauptrolle spielt – Jenninger, Nolte, Walser, Möllemann, Flick, Jens, Grass …: Ein paar Juden spielen darin garantiert tragende Nebenrollen. Entweder den guten Juden Jesus, der den Deutschen vergibt, oder den bösen Juden Moses mit seiner »alttestamentarischen Rache«.
Dass der gute Jude Levy jetzt den Deutschen einen Führer schenkt, ist also kein Fortschritt. Erst wenn sich kein Jude für den arischen Striptease interessierte, wären wir einen Schritt weiter.
Der Autor ist Kommentarchef der »Welt am Sonntag«.