London ist die Stadt der Einwanderer, der Immigranten und Flüchtlinge – auch und gerade in Kunst und Kultur. Dem besonderen Blick der »Fremden« widmet bis zum 5. August die 1915 gegründete Ben Uri Gallery eine Ausstellung. »London Senses and Experiences – Art in the Big City” präsentiert Werke von sechs führenden Vertretern der sogenannten London School: Lucien Freud, Euan Uglow, Leon Kossoff, Ron Kitaj, Michael Andrews und Frank Auerbach. Auerbach und Freud flohen mit ihren Eltern aus Nazideutschland. Kossoff und Uglow wurden in London als Kinder ostjüdischer Immigranten geboren. Kitaj, ein amerikanischer Jude, ist seit Jahrzehnten in London ansässig. Der einzige Angelsachse in der Gruppe war der 2005 verstorbene Michael Andrews.
Gemeinsam war dem Sextett von Anfang an die künstlerische Passion für figurative Darstellungen, mit der die »London School« sich von der vorherrschenden abstrakten Orthodoxie der Nachkriegsperiode absetzte. Thematisch stand und steht im Zentrum ihres Schaffens die Darstellung menschlicher Schicksale in der Großstadt London. Deutlich wird das gleich zu Beginn der Ausstellung bei zwei Gemälden, die sich durch virtuose Materialität von Farbe und Darstellung auszeichnen: Frank Auerbachs »Mornington Cresent, Summer Evening II« und Leon Kossoffs »Christ Church, Winter Evening«. Während Auerbach eine undurchdringliche Stadtlandschaft mit glänzendem Himmel, gelb und rot schimmernden Wohn-und Büroblocks, verwinkelten Straßen und vorbeifliegenden Flugzeugen darstellt, malt Kossoff mit fast barocker Verve Menschen in einer kosmopolitischen und demokratischen Metropole. Ähnlich Ron Kitaj, dessen Zeichnung »Two Jews« von 2005 die »wunderbare Verrücktheit des jüdischen Theaters” ausdrückt, wie er schreibt. Von Lucien Freud, Enkel des Begründers der Psychoanalyse, sind Porträtzeichnungen aus 30 Jahren zu sehen, unter anderen »Drawing of a Girl« (1974) und »Woman with an Arm Tattoo« (1996), die Freuds besonderes Interesse für die Menschen dokumentieren, die an den Rändern der in den Thatcher- und Blairjahren etablierten neuen britischen Gesellschaft zu finden sind. Uwe West
www.benuri.org.uk