von Peter Bollag
Wie ein Diktator sieht er eigentlich nicht aus. Der 75-jährige Ralph Zloczower ist groß und schlank und strahlt eher schweizerisch-bernische Behäbigkeit aus als jene hektische Betriebsamkeit, die man von einem Funktionär in dieser Position eigentlich erwarten dürfte.
Das liegt vielleicht daran, dass Ralph Zloczower in seinem langen Berufsleben schon einiges gesehen hat und einiges auch aussitzen konnte. Zum Beispiel seine größte Krise als Präsident des Schweizerischen Fußballverbandes (SFV). Als während der Europameisterschaft 2004 die sogenannte »Spuck-Affäre« schwelte, musste Zloczower – und nicht nur er – für sein Krisen-Management herbe Kritik einste-cken. Der heutige Dortmund-Spieler Alex Frei hatte im Spiel Schweiz gegen England seinen berühmten Gegenspieler Wayne Rooney angespuckt – was aber erst die Fernsehbilder nach dem Spiel bewiesen. Die zögerlicher Art und Weise, wie der Verband mit Frei umging, ließ nicht nur in der Boulevardpresse bald den scharfen Ruf »Zloczower, abtreten!« erschallen. Ein »patriarchalischer Strippenzieher« sei hier am Werk, war da zu lesen, ein »machtbesessener zweiter Joseph Blatter« – ein wenig schmeichelhafter Vergleich mit dem FIFA-Chef, der gerne als Fußball-Diktator dargestellt wird.
Auch wenn in all diesen Vorwürfen nie auch nur der geringste antisemitische Unterton auszumachen war: Kaum ein Beobachter der Szene hätte damals auf den Juristen noch einen Rappen gewettet. Aber der Sturm legte sich wieder, und 2005 wurde Zloczower wiedergewählt. »Ralph Zloczower, unantastbar« titelte daraufhin so bewundernd wie ungläubig die Neue Zürcher Zeitung.
Da hatte sich gezeigt, dass Ralph Zloczower über ein gutes Beziehungsnetz innerhalb und außerhalb des Fußballverbandes verfügte: Der ehemalige Funktionär des Schweizer Curling-Verbandes, Präsident der bürgerlichen Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) der Stadt Bern, Generalstabsoffizier der Schweizer Armee und Präsident des Berner Fußball Kultvereins Young Boys, hat Freunde in vielen Lagern.
Gerne hätte auch die jüdische Gemeinschaft von Zloczowers Beziehungsnetz profitiert: Im Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) waren und sind Führungskräfte aus der Berner jüdischen Gemeinde sehr gefragt. Auch wenn diese mittlerweile mit nur noch etwa 300 Mitgliedern an den Rand der Bedeutungslosigkeit gerutscht ist. Mitglied der jüdischen Gemeinde der Bundeshauptstadt war Ralph Zloczower stets. Aber er hat dann doch von einem größeren Engagement für die jüdische Gemeinschaft abgesehen, eher den Sachzwängen als seiner Überzeugung folgend: »Man kann nicht alles machen«, sagt er abgeklärt.
Gleichwohl legte er stets ein großes Engagement für Israel an den Tag. Für den Keren Hajessod hat er in Bern jahrelang die Werbetrommel gerührt. »Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Unser Bild hier in der Schweiz als Jüdinnen und Juden hängt wesentlich vom Image Israels ab, ob es uns passt oder nicht«, meint er dazu. Dass er die israelische Botschaft einige Jahre lang auch als Anwalt vertreten hat, darüber möchte er – mit Hinweis auf das Berufsgeheimnis – lieber nicht sprechen. Doch ist es wohl ein weiterer Beweis seiner Nähe zum jüdischen Staat.
Belohnt für seine Entscheidung zugunsten des Fußballs und zuungunsten der jüdischen Gemeinschaft wird Ralph Zloczower sicher in den kommenden Wochen und Monaten: Die Fußball-EM 2008, das drittgrößte Sportereignis der Welt, wird in der Schweiz und in Österreich ausgetragen. Und auch, wenn in beiden Ländern noch am Großereignis herumgemäkelt wird, freut sich der Berner doch schon sehr auf die Tage im Juni: »Auch in Deutschland war vor der WM 2006 wenig von Begeisterung und Emotion zu spüren – bis es losging.« Seinen Geburtstag feiere man ja auch nicht schon Monate im Voraus, sondern dann, wenn er da sei.
Wobei sich Ralph Zloczower auch hier keine Illusionen macht: »Wenn die Schweiz im Turnier Erfolg haben wird, werden die Medien das der Mannschaft und ihrem Trainer Köbi Kuhn zuschreiben, aber sicher nicht der Arbeit des Verbandes.«
Würden die Schweizer aber bereits in der Gruppenphase – immerhin verfügen sie mit Portugal, Tschechien und der Türkei über ziemlich starke Gegner – scheitern, dann weiß Zloczower, dass er als Verbandschef im Regen stehen wird: »Alles wird dann falsch gewesen sein, von der Vorbereitung über das Essen bis zur Auswahl des Mannschaftshotels.« Für das alles trage er als Verbandspräsident die Verantwortung.
Dass er in diesem Fall doch noch vorzeitig zurücktreten wird, das hoffen seine Gegner wohl umsonst: Ralph Zloczower ist bis in den Sommer 2009 gewählt, und er macht im Gespräch klar, dass er seine Amtszeit auf jeden Fall zu Ende führen wird. Was gleichzeitig auch bedeutet, dass er die Schweizer Delegation mit dem neuen Trainer Othmar Hitzfeld im ersten Ernstkampf nach der EM im Oktober dieses Jahres ausgerechnet nach Israel führen wird.
Das aufstrebende Team aus dem Nahen Osten ist einer der Gruppengegner auf dem Weg zur WM 2010 in Südafrika. Und Zloczower weiß über die Stärke des Gegners durchaus Bescheid: »Die Israelis waren bereits auf dem Weg nach Deutschland unsere Gegner, und wir haben uns zweimal die Zähne an ihnen ausgebissen.« Beide Spiele endeten unentschieden – ein eher schmeichelhaftes Resultat für die Schweizer.
Dass der Israelfreund Zloczower im neuerlichen Duell der beiden Teams eine doppelte Loyalität haben könnte, lässt er nicht gelten und wischt die Frage mit einer Handbewegung weg: »Davon kann keine Rede sein!« Er glaubt an »seine« Schweizer.
Nur: Wenn die Israelis im Herbst 2009 zum Rückspiel in die Schweiz kommen, ist Zloczower längst Privatmann und könnte dann theoretisch auch dem Team mit dem Davidstern auf der Brust die Daumen drücken.