Leon Zelman

Der Erklärer

von Florian Wenninger

Leon Zelman, einer der großen Aufklärer über den österreichischen Faschismus, ist tot. Der Sozialdemokrat gründete in Wien den sogenannten Jewish Welcome Service (JWS), der emigrierten Juden und ihren Nachfahren die alte Heimat wieder nahebringen sollte.
Geboren wurde Leon Zelman am 12. Juni 1928 im polnischen Schtetl Szczekociny. Sein Vater wurde unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch 1939 umgebracht, die Mutter verhungerte im Ghetto Lodz. Leon und sein Bruder Schajek wurden von Lodz 1944 nach Auschwitz deportiert, von dort weiter nach Falkenberg. Dann wurden die Brüder getrennt, Leon kam in ein Nebenlager des KZ Mauthausen, Ebensee, Schajek wurde zurück nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Leon erlebte am 6. Mai 1945 völlig entkräftet und schwer krank die Befreiung des Lagers Ebensee durch US-Truppen.
Eine offene Tuberkulose verhinderte die geplante Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Stattdessen ging Zelman im April 1946 nach Wien, holte das Abitur nach und begann 1949 mit dem Publizistikstudium. Er engagierte sich in der jüdischen Hochschülerschaft, der er als leitender Funktionär angehörte. Zeitgleich lernte Zelman Peter Strasser kennen, eine der sozialdemokra- tischen Nachwuchshoffnungen jener Jahre. Durch Strasser und dessen Genossen habe er das »andere« Österreich kennengelernt, erzählte Zelman später. Die Sozialdemokratie blieb trotz manchen tiefen Enttäuschungen zeitlebens seine politische Heimat. Als er 1954 promovierte, war er bereits seit drei Jahren Chefredakteur der von ihm mitbegründeten Zeitschrift Jüdisches Echo. Diesem renommierten Jahrbuch, das von Intellektuellen verschiedener Religionszugehö- rigkeit und politischer Coleur als Forum genutzt und geschätzt wurde, blieb Zelman bis kurz vor seinem Tod als Chefredakteur erhalten.
1980 gründete er den Wiener Jewish Welcome Service. Der JWS lud seither über 4.000 vertriebene Wiener Jüdinnen und Juden zu einem Besuch in ihre alte Heimatstadt ein. Als eines der Ziele seiner Tätigkeit nannte Zelman einmal, irgendwann nicht mehr gefragt zu werden, wie er als Jude nur hier, im Land der Täter, leben könne. Zu- und Widerspruch ließen nicht lange auf sich warten. Von jüdischer Seite wurde dem Welcome Service vorgehalten, er beschönige den nach wie vor weit verbreiteten Antisemitismus, und diene der Selbstbeweihräucherung des offiziellen Österreich. Tatsäch- lich mussten manche in der Schar nichtjüdischer Claqueure des Projektes misstrauisch machen: Die ansonsten keiner minoritätsfeindlichen Agitation abgeneigte Wiener Kronen-Zeitung rühmte die Arbeit des JWS als Werk der »Versöhnung« und übernahm dabei zwar Zelmans Worte, nicht aber deren Sinn. Während dieser seine Arbeit nämlich in erster Linie als Versöhnung der Vertriebenen mit ihrer eigenen Geschichte verstand, als Möglichkeit zur Aufarbeitung von Traumata, wollten jene darin das Aufeinanderzugehen ehemaliger Gegner erkennen – als wäre es an zwei Gegnern, sich über den Gräben der Vergangenheit die Hände zu reichen. In dieser Interpretation – auf die er freilich wenig Einfluss hatte – firmierte Zelman als der »gute Jud«, dem jene Rachsüchtigen, wahlweise auch Gierigen seiner Art gegenübergestellt wurden, die Restitution und Entschädigung forderten.
In der Waldheim-Debatte 1986 kulminierte neben diesem ein zweiter Konflikt: Jener zwischen Leon Zelman und Simon Wiesenthal. Zelman ergriff ebenso wie der World Jewish Congress entschieden gegen Waldheim Partei und forderte von diesem ein Bekenntnis zur eigenen Vergangenheit. Wiesenthal hingegen nahm Waldheim zumindest anfangs in Schutz und fand sich so aus der Sicht Zelmans in eben jener Position wieder, in die er sich davor jahrelang selbst zu Unrecht gedrängt gefühlt hatte. Gleichzeitig trat in der Wahlauseinandersetzung offener Antisemitismus zutage, den Waldheim, der Kandidat der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), mit einer einschlägigen Kampagne erfolgreich für sich nutzen konnte. Für Zelman war es der Beginn einer schmerzhaften Revision der eigenen Haltung gegenüber seiner Wahlheimat, deren Weltoffenheit in den folgenden fünfzehn Jahren durch den kometenhaften Aufstieg Jörg Haiders nicht glaub- würdiger wurde.
Die Arbeit des Jewish Welcome Service sah Zelman durch die Waldheim-Affäre und Haiders Wahlerfolge zwar nicht in Frage gestellt – die von ihm ursprünglich erhoffte Läuterung der Kriegsgeneration hingegen schon. Seine Bemühungen konzentrierten sich in weiterer Folge auf die Nachgeborenen. Neben seinem Engagement als Zeitzeuge trat Zelman in den letzten Jahren öffentlich für ein »Haus der Geschichte« ein, das der Demokratie- und Toleranzerziehung dienen soll. Es ist ihm nicht mehr vergönnt, die Verwirklichung dieses Ziels mitzuerleben. Am Mittwoch, dem 11. Juli erlag er einem langen, schweren Leiden.

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