von Sebastian Borger
Michael Bookatz trug eine Kippa und seinen langen Schabbat-Mantel, als ihn zwei Unbekannte auf offener Straße mit einem Faustschlag ins Gesicht niederstreckten und auf ihn eintraten. Später im Krankenhaus berichtete der 32-jährige Software-Entwickler: »Ich fragte, warum sie mich verprügelten. Da schrie einer: ›Für die Palästinenser in Gasa.‹«
Der brutale Angriff im Stadtviertel Golders Green im Norden Londons stellte Mitte Januar den schlimmen Höhepunkt einer Welle antisemitischer Übergriffe in Großbritannien dar. Nach übereinstimmenden Berichten der jüdischen Schutzorganisation Community Security Trust (CST) sowie von Scotland Yard gab es im Januar einen traurigen Rekord: Während man 2007 insgesamt 561 und im vergangenen Jahr 541 Ereignisse gezählt habe, berichtet CST-Sprecher Mark Gardner, kam es in den vier Wochen nach Beginn der Bombenangriffe Israels auf Ziele im Gasa-Streifen zu »mehr als 250 Zwischenfällen«.
Meist blieb es bei antisemitischen Schmierereien wie »Jihad 4 Israel« (Heiliger Krieg gegen Israel) und »Kill all Jews« (Tötet alle Juden). Scotland Yard zufolge gehörten zu den Zielen der Schmierer auch zwei Synagogen. Bei einem dritten Bethaus, der Brondesbury Park Synagoge, legten unbekannte Täter nachts einen Brand an der Eingangstür; das Feuer wurde von Anwohnern rasch gelöscht. Unter die 250 Ereignisse zählt CST auch zwischen 20 und 40 antisemitische Einträge in Internet-Chatrooms. Körperliche Angriffe wie der auf Michael Bookatz blieben Ausnahmen. Etwa ein Drittel aller Zwischenfälle ereignete sich in London, wo rund zwei Drittel der insgesamt etwa 350.000 britischen Juden leben.
Die Hauptstadt war vergangene Woche Schauplatz einer internationalen Tagung gegen Antisemitismus. Mehr als 100 Parlamentarier aus knapp 40 Staaten berieten über gemeinsame Vorgehensweisen gegen »diesen uralten Hass in seinen neuen Spielarten«, wie der Konferenz-Organisator und Labour-Abgeordnete John Mann formulierte. Zu den Teilnehmern gehörten Italiens Außenminister Franco Frattini, der frühere israelische Minister Natan Scharanski, Österreichs Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sowie die deutsche Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Die Linke), aber auch Delegierte aus Tunesien und Marokko. Ausdrücklich betonten die Organisatoren, die Mehrheit der Teilnehmer seien Nichtjuden. »Hier war eine große Anzahl hochkarätiger Leute versammelt«, analysiert der frühere britische Europa-Staatssekretär Denis MacShane. Man habe sich gegenseitig in der Entschlossenheit bestärkt, das Thema Antisemitismus »vom Rand der politischen Debatte ins Zentrum« zu zerren.
Klarer als erwartet bekundeten Frattini für die italienische Regierung sowie der britische Außenstaatssekretär Mark Malloch Brown ihre Skepsis gegenüber der geplanten UN-Anti-Rassismustagung, der sogenannten Durban-II-Konferenz, die im April in Genf stattfinden soll. Es gebe klare Voraussetzungen für Großbritanniens Teilnahme, sagte Malloch Brown: »Wir werden keinerlei Rassismus dulden. Lieber sagen wir die Teilnahme ab.« Die UN-Tagung im südafrikanischen Durban hatte 2001 für einen Skandal gesorgt, weil dort ungehindert antisemitische Propaganda verbreitet wurde. Israel und Kanada haben bereits ihren Boykott der Nachfolge-Konferenz angekündigt. Sollte sich der Tenor der Veranstaltung nicht ändern, »werden auch wir keine Delegation schicken«, bekräftigte Frattini.
Nach Gruppenarbeit und Plenarsitzung verabschiedeten die Delegierten die »Londoner Erklärung«. Darin werden Regierungen, Parlamente und Zivilgesellschaften zu erhöhter Wachsamkeit gegen Antisemitismus aufgerufen. Gleichzeitig machten Redner wie der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks darauf aufmerksam, dass Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus gleichgesetzt werden dürfe.