von Sabine Brandes
Sie hat nächtelang gekellnert, fremde Häuser geputzt, Jahre ohne Arbeitserlaubnis und Krankenversicherung gelebt. Mit zwei Diplomen in der Tasche. Heute entschuldigt sie sich am Telefon, wenn sie schwer zu erreichen ist. »Bin in den nächsten Tagen von morgens bis abends am Gericht.« Kathi Mickan ist Sorbin und stammt aus Bautzen in Deutschland. Vor zehn Jahren änderte sie ihre Adresse. Für immer. Anschrift heute: Tel Aviv, Israel. Am Rabin- Platz, mitten in der Stadt, hat die Anwältin ihr Büro.
Eine Sekretärin öffnet die Tür, nebenan schrillt ein Fax. Mickan teilt sich die kleine Kanzlei mit zwei Kollegen, einer Israelin und einem russischen Neueinwanderer. Ihr eigenes Zimmer ist knapp bemessen, gerade groß genug, um einen Schreibtisch, ein paar Regale und zwei Besucherstühle unterzubringen. In der Ecke surrt eine alte Klimaanlage. Schiller und Goethe, Beethoven und Mozart hängen an der Wand. »Die gehören immer noch zu mir«, sagt sie und streicht über den Rahmen.
Nachdem sie sich 1990 in einen Israeli verliebt und so mit jüdischer Kultur in Berührung gekommen war, reiste sie einige Male nach Israel um zu schauen, »wie es so geht«. Die Gefühle zu dem Mann verebbten, die Liebe zum Land blieb. 1996 packte sie endgültig die Koffer. »Ich habe gemerkt, daß ich meinem Gespür folgen muß.« Die Sicherheit der alten Heimat für ein Bauchgefühl aufzugeben, sei nicht leicht gewesen. »Denn ich bin eigentlich typisch deutsch. Mit viel Sinn für Ordnung und ein geregeltes Leben. Aber irgendwie habe ich gewußt, daß es der einzig wahre Weg ist.« Zu diesem Weg gehörte die orthodoxe Konversion. »Ich habe mich als Jüdin gefühlt und wollte als solche anerkannt sein.« Mickan lebt nach den religiösen Gesetzen, hält sich ans Kaschrut und ruht am Schabbat. Von Haus aus gehört sie der ethnischen Gruppe der Sorben an.
Nach der Ankunft in Israel hatte sie zunächst vor, als Journalistin zu arbeiten. Doch Sprachbarrieren und die Tatsache, daß sich auf diesem Fleckchen Erde die meisten ausländischen Reporter weltweit tummeln, ließen ihren Traum wie Eis in der flirrenden Sonne schmelzen. Um als Juristin zu arbeiten, mußte sie israelisches Recht von der Pike auf lernen – auf hebräisch. »Das lag wie ein unbezwingbarer Berg vor mir.« Sie wagte es dennoch und meldete sich für den zweijährigen Kurs, an dessen Ende die Anerkennung ihres Studiums stand. Nebenbei kellnerte sie, arbeitete als Sekretärin und als Anwaltsgehilfin. Sie bestand, machte ihr Referendariat, und 2001 war es soweit: Sie bekam die israelische Zulassung. »Als echte Anwältin. Das war einfach nur ein Wow-Gefühl.«
Trotz Hochstimmung mußte die Miete bezahlt werden, der Kühlschrank wollte gefüllt sein. Zuerst ging sie den sicheren Weg der Anstellung bei einem anderen Anwalt. Doch Mickan wollte mehr. Schwer sei der Beginn der Selbständigkeit gewesen, klar. Wie die meisten Anfänge eben. Sie spezialisierte sich auf alles, was mit Deutschland und Österreich zu tun hat und kann mittlerweile gut davon leben, hat einen Stundensatz von 150 Dollar. Das tut sie nicht ohne Stolz kund. Wenn sie zurückblickt, aber weiß sie nicht mehr, wie sie alles bewältigt hat. Arbeit, Sprache, Konversion, Mentalitätsdifferenzen. Gestärkt habe sie stets der Freundeskreis. »Und der Austausch mit anderen Neueinwanderern.« Zum Beispiel denen, die sie bei NOAM getroffen hat, der Interessenvertretung für deutschsprachige Olim. Um ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben, hilft sie selbst in der Organisation.
Äußerlich haben die Anstrengungen keine Spuren hinterlassen. Die 44Jährige sieht jünger aus, als ihr Paß angibt, die Augen blitzen fröhlich, wenn sie erzählt. »Nein, ich bereue nichts, es war die richtige Entscheidung.«
85 Deutsche haben im vergangenen Jahr Alija gemacht. In diesem Jahr sind es bislang 43. Die meisten kommen aus Über-
zeugung für die zionistische Sache. Um den jüdischen Staat zu unterstützen, mit-
zuhelfen ihn am Leben zu halten, so Keren Tomer, Mitarbeiterin von NOAM.
So steinig der berufliche Weg anfangs war, das Unterfangen, einen Mann zu finden, schien gar schwieriger. Doch Mickan ist eine Kämpfernatur. Sie lebte mit einem echten Sabre, einem in Israel geborenen Mann, zusammen. »Auf die Dauer ging das aber nicht. Die Mentalitäten klafften völlig auseinander.« Auch mit einem Neuein-
wanderer aus Frankreich lief es nicht gut. »Zwar verband uns die Alija, doch das war einfach zuwenig.« Betrübt klingt sie nicht. Denn sie hat wieder einen Freund. »Er ist Israeli, ursprünglich aus Deutschland eingewandert. Ich bin offensichtlich der konservative Typ«, sagt sie und lacht.
Laut Rückkehrgesetz steht es allen Juden der Welt zu, in Israel zu leben. Betreut werden die Neuankömmlinge von der Jewish Agency. Der Staat zahlt pro Familie ein Starthilfegeld, das je nach Herkunftsland variiert, das Flugticket sowie kostenlosen Hebräischunterricht und die Krankenversicherung für ein halbes Jahr. Doch damit endet die Hilfe ganz schnell. »Im großen und ganzen muß man sich allein durchbeißen.« Bei Mickan hält sich die Enttäuschung darüber in Grenzen. Ihr sei klar gewesen, daß in Israel andere Alltagsgesetze gelten. Dennoch: Zurückgehen ist ein Wort, das nicht in ihren Wortschatz gehört. »Ich bin glücklich hier. Es ist mein Zuhause.«