Eine ältere Dame steht am Küchentisch, vor ihr eine mit Fisch gefüllte Plastikwanne. Ein Stück hält sie noch in der linken Hand, während sie mit der Rechten nach dem Salz greift. Ein leichtes Lächeln liegt auf ihrem Gesicht. Es ist kurz vor Schabbat, ein Essen für die gesamte Familie will vorbereitet werden: »Gefilter Fisch«, wie die Bildunterschrift verrät. Die Ärmel ihres roten Pullovers sind hochgekrempelt, damit sie nicht verschmutzen. Kaum merklich zeichnet sich in ihrer Armbeuge eine Zahlenreihe ab, eintätowiert vor über 60 Jahren.
Es sind solche Details, die dem Betrachter von Rafael Herlichs Bildband Weiterleben – Weitergeben. Jüdisches Leben in Deutschland die Schrecken der Schoa un-
vermittelt ins Gedächtnis rufen. Ein Subkontext, der sich zwangsläufig in fast allen Bildern finden lässt, wenn man genau hinsieht. Für den in Frankfurt lebenden Fotografen Herlich indes ist etwas anderes an dem Bild der alten Dame entscheidender. »Sie ist stolz«, sagt der 55-Jährige.
Gut 37 Jahre ist es her, dass der in Tel Aviv geborene Herlich nach Deutschland, in das »Land der Täter« kam. Fast ebenso lange arbeitet er als Fotograf. Über die Jahre hinweg hat er sich den Ruf eines »Bild-chronisten des jüdischen Lebens« aufgebaut. Wann immer Institutionen oder pro-
minente Vertreter des Judentums öffentlich in Erscheinung treten, der Mann mit der Kamera ist fast immer dabei.
Zeit für eine Werkschau, könnte man meinen. Doch dem in Frankfurt lebenden Familienvater geht es um etwas anderes. »Ich glaube, was die Bilder zeigen, könnte ich gar nicht in Worte fassen.« Ein wieder- entstandenes, manchmal wieder blühendes Judentum in Deutschland. »Nur Positives«, betont Herlich. Denn im Grunde wolle er »Bilder des Lebens« zeigen.
Herausgekommen ist ein bunter Querschnitt aus 30 Jahren. Familiäres, wie das Bild der alten Dame. Skurriles, wie der Rabbiner beim Fußballtraining. Historisches, wie die Aufnahmen prominenter Zeitgenossen. Schnappschüsse einer sich andauernd im Wandel befindlichen Ge-
meinschaft, erläutert nur durch knappe Bildunterschriften und kurze Begleittexte des Erfurter Pädagogik-Professors Doron Kiesel.
»Dieses Buch«, sagt Herlich, »ist fertig.« Ob irgendwann ein zweites folgen wird, hat er noch nicht entschieden. Möglich wäre es allerdings. Denn auch in Zukunft möchte er die jüdische Gemeinschaft in Deutschland begleiten. »Erst wenn ich sterbe«, sagt Rafael Herlich, »werde ich mit dem Fotografieren aufhören.« Danjel Majic
Frankfurt