von Harald Neuber
Tomás Hirsch ist wohl der berühmteste politische Außenseiter Chiles. Schon als sich der Vorsitzende der Humanistischen Partei für die Präsidentschaftswahl am 11. Dezember bewarb, war klar, daß er scheitern würde. Trotzdem trat er für das linke Bündnis »Juntos Podemos« (Zusammen können wir) an, dem neben den Humanisten, der christlichen Linken und der Kommunistischen Partei mehr als 50 weitere Gruppen angehören.
Daß das Linksbündnis im ersten Wahlgang auf gut fünf Prozent der Stimmen kam und Hirsch damit aus dem Rennen ausschied, ist nicht unbedingt auf die politischen Kräfteverhältnisse zurückzuführen. »Die Menschen haben Angst, daß die Parteien der Rechten 15 Jahre nach Ende der Pinochet-Diktatur (1973-1990) wieder an die Macht kommen«, sagt Hirsch. Auch nach seiner Wahlniederlage zog sich der 49jährige nicht aus der Politik zurück. Bevor die Sozialistin Michelle Bachelet und Sebastían Piñera, der Kandidat der rechtskonservativen Partei der Nationalen Erneuerung, zur Stichwahl antraten, machte der Humanist mit dem Aufruf zum Wahlboykott wieder Schlagzeilen. Der sozialistischen Concertación von Bachelet warf er vor, die undemokratische Verfassung der Pinochet-Diktatur weiter zu stützen, weil sie die großen Bündnisse weiter an der Regierung halte. Bachelet setze sich am Sonntag mit 53,5 Prozent der Stimmen durch und wird Chiles neue Präsidentin,
Sein Image als David, der ohne müde zu werden gegen den politisch übermächtigen Goliath kämpft, hat Tomás Hirsch auch zum bekanntesten Juden Chiles gemacht. »Auf persönlicher Ebene hat mich das Judentum immer beeinflußt«, sagt er im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Jüdisch zu sein habe für ihn von klein auf vor allem bedeutet, »Verantwortung für die anderen zu tragen und die Verpflichtung gegenüber der Gemeinde zu sehen«. Daraus leitete sich später sein politisches Engagement ab. Hirsch, der 1956 in Chile als Kind deutsch-jüdischer Flüchtlinge geboren wurde, setzte sich 1988, noch zu Zeiten der Diktatur, für die Gründung der Humanistischen Partei Chiles ein. Im selben Jahr gehörte er zu den prominentesten Organisatoren eines Referendums, bei dem sich 54 Prozent der Wähler gegen eine alleinige Kandidatur des Diktators Pinochet bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen aussprachen. Auch dieses damals nicht ungefährliche Engagement führt er im Rückblick auf seine Erziehung zurück. »Meine Eltern mußten vor dem Terror der Nazis aus Deutschland fliehen. Aber in unserer Familie hat nie der Haß auf die Aggressoren eine Rolle gespielt. Es ging darum, zu verhindern, daß sich eine solche Geschichte je wiederholt.«
Zur jüdischen Gemeinde, die in Chile knapp 10.000 Mitglieder hat, pflegt Hirsch enge Kontakte. »Die Gemeinde hat jedes ihrer Mitglieder unterstützt, das sich zur politischen Kandidatur entschlossen hat«, sagt er. Tatsächlich gebe es Kandidaten verschiedener Parteien, vom konservativen Lager bis in die Linke. Als er mit anderen Mitgliedern während des Wahlkampfes diskutierte, habe es »natürlich auch un- terschiedliche Meinungen gegeben«, sagt Hirsch diplomatisch. Diese Differenzen betreffen wohl auch die Haltung zur Geschichte des Landes. Zwar habe die jüdische Gemeinde zur Zeit der Diktatur nicht als politische oder religiöse Institution im Fadenkreuz der Militärjunta gestanden. Wie ganz Chile seien aber auch Juden von der Repression während der Diktatur betroffen gewesen. »Ich hätte mir schon damals gewünscht, daß wir, die chilenischen Juden, eine aktivere Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte gespielt hätten.«
Es wird wohl ein Wunsch bleiben. Politisch spielt das Judentum südlich des Rio Grande keine große Rolle. Und am Ende des Gespräches sagt auch Hirsch: »In der Öffentlichkeit hat meine Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde eigentlich nie eine große Rolle gespielt.«