von Rabbiner Avichai Apel
Jeder von uns kennt das unangenehme Gefühl: Man stellt auf der Autobahn fest, dass der Tank bald leer ist. Das Warnlämpchen leuchtet, ein Hinweisschild kündigt die nächste Tankstelle erst nach etlichen Kilometern an, der Blutdruck steigt. Je weiter man fährt, desto mehr betet man, dass die Zapfsäule endlich kommen möge. Dann wiederholt sich das Wunder des Ölkrügleins. Mit den letzten Tropfen Sprit erreichen wir die Tankstelle. Wie fühlten sich wohl die Makkabäer nach Ende des Krieges gegen die Griechen? Gerade haben sie den Tempel gesäubert und sogar das Ölkrüglein gefunden. Aber reicht das Öl für die Menora aus, bis neues, reines Öl ankommt?
Während die Makkabäer befürchteten, dass das Ölkrüglein nicht acht Tage für die Menora ausreichen würde, sind die Weltführer gegenwärtig mit anderen Problemen konfrontiert: Gibt es genügend Energie auf der Welt, um auch den Stromverbrauch im Winter zu decken? Welchen Einfluss haben Länder, die über Gas- und Ölressourcen verfügen? Wie wirken sich die Preise auf Weltwirtschaft und Weltfrieden aus? Kann die fortschreitende Erderwärmung noch aufgehalten werden? Wiederholt sich das Wunder des Ölkrügleins und wird die Welt trotz aller negativen Prognosen normal weiterfunktionieren?
Zur Erinnerung an das Wunder von Chanukka zünden wir an der Menora jeden Tag eine Kerze mehr an. Welche Methoden verwendeten die Makkabäer, um Öl zu sparen? Was können wir von ihnen lernen, um die gegenwärtige Umweltsituation zu verbessern (vgl. S. 6)? Wenn wir die Ursachen für die Naturkatastrophen wissenschaftlich untersuchen, stellen wir fest, dass wir zu einem wesentlichen Teil selbst dafür verantwortlich sind. Der Mensch im 21. Jahrhundert nutzt viele technologische Erfindungen für seine Bequemlichkeit im Leben. Warum auch nicht? Heutzutage gibt es Mobiltelefon, drahtloses Internet, Navigationssystem, MP3 und zig andere Geräte. Doch viele benutzen sie vor allem, um »in« zu sein.
Auch die Griechen waren damals von einer ähnlichen Lebensweise geprägt. Zwar gab es große Denker, die sich mit der Bedeutung der Welt und mit anderen philosophischen Fragen beschäftigten. Viele Menschen jedoch interessierten sich ausschließ- lich für die Schönheit ihres Körpers, für Vergnügungen, Fitness und Drogen. Sie waren Hedonisten. Griechenland versuchte, auch uns diese Lebenshaltung schmackhaft zu machen. Die Makkabäer hingegen symbolisierten in ihrem Kampf die andere Lebensweise, eine Verbindung von Körper und Geist. Alles andere würde einen unvollkommenen Menschen hervorbringen, der sein Glück wegen der Verzerrung der Begriffe und Ziele nie erreichen kann.
Die Tora sagt dem Menschen, was das Gute ist und hilft ihm, einen Mittelweg zu finden, der die Extreme in sich vereinigt. Der Mensch soll alles, was auf der Welt vorhanden ist, nutzen, um höchste Lebensqualität zu erreichen. Die Entwicklung der Industrie brachte viele Neuerungen, dennoch sind wir gefordert, zu einer gewissen Einfachheit zurückzukehren. Durch Konzentration auf unsere Bequemlichkeit haben wir es versäumt zu prüfen, wie die Umwelt mit unseren Entwicklungen zurechtkommt. Die Vermehrung von Sendeanlagen und Satellitensystemen zum Beispiel erhöht die Krankheitsgefahren. Sie verbessert eben nicht unsere Lebensqualität, sondern mindert sie.
Es wurde damals nur reines Olivenöl verwendet, um die Menora anzuzünden, das heißt, nur der erste Tropfen, der beim Olivenpressen herauskommt, kann für das Anzünden verwendet werden. Das bedeutet, dass der Mensch wissen muss, wie er die Mineralien gut nutzt, um keinen unumkehrbaren Schaden anzurichten. Er muss wissen, wie er reines leuchtendes Licht erzeugt und wie das Licht der Schabbat- und Chanukkakerzen positive Energie verbreitet. Die Tora weist an, den Rest des Öls für andere Zwecke im Tempel zu verwenden, um der Verschwendung vorzubeugen, denn Verschwendung von Ressourcen ist nicht der Weg der Tora.
Wir müssen auf die Welt Rücksicht nehmen, damit sie weiter Bestand hat. Gerade zu Chanukka ist es an der Zeit, sich auch mit der Frage des Welterhalts zu beschäftigen, weil dieser zweifellos mit der menschlichen Lebensführung zusammenhängt. Vielleicht kommt die Welt ja nicht zufällig während des Channukkafestes zur Klimakonferenz in Bali zusammen. Hoffen wir, dass der Einfluss, der Geist der Makkabäer, auch dort spürbar ist.
Mit dem Wunder von Chanukka zeigte uns Gott, wie die Menora acht Tage lang brennen kann mit einer Ölmenge, die lediglich für einen Tag reichen sollte. Versuchen wir also, sparsam und rücksichtsvoll mit unseren natürlichen Ressourcen umzugehen. Denn nicht jeden Tag kann ein Wunder geschehen!
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund.