Religionsfreiheit

Der Bund bindet

von Rabbiner
Julian Chaim Soussan

Chanukka gilt als das Fest, an dem die Makkabäer 165 v.d.Z. die jüdische Selbstverwaltung wiederherstellten. Es ging damals weniger um einen politischen Sieg als um den Erhalt religiöser Werte. Denn neben dem Studium der Tora hatten die griechischen Besetzer drei weitere Eckpfeiler des Judentums verboten: das Halten des Schabbats und der Kaschrut sowie die rituelle Beschneidung, die Brit Mila. Durch diese Einschränkungen, so hoffte der Seleukidenkönig Antiochos IV., würden die Juden sich vollständig assimilieren und in der hellenistischen Kultur aufgehen.
Wer bislang glaubte, Chanukka sei ein altes Relikt religiösen Gedenkens, schaut dieser Tage überrascht auf Entwicklungen in Deutschland, die durchaus Besorgnis erregen: Wegen der Schulzeitverkürzung von 13 auf zwölf Jahre stehen Gymnasien vor der Frage, wie sich Unterrichtszeit gewinnen lässt. Da denkt mancher Bildungspolitiker darüber nach, den Samstag, den Schabbat, zum Schultag zu machen – für jüdi- sche Schüler ein Dilemma.
Auch die ursprünglich auf den Islam abzielende Schächtdebatte wirft unangenehme Fragen auf. Das Judentum ist zwar Vorreiter des Tierschutzes und hat mit seinen über 3.400 Jahre alten Forderungen nach der Vermeidung von Tierquälerei bis heute sehr viel zum Wohle der Tiere beizutragen. Doch sind wir Anfeindungen von Tierschützern ausgesetzt, die sich von grausig vertrauten Parolenschwingern begleiten lassen. Da fällt es schwer, nicht laut zu sagen, dass das einzige, je verhängte Schächtverbot in diesem Land in der Nazizeit umgesetzt wurde.
Zusätzlich stimmt die Tatsache bedenklich, dass diese Diskussion für Juden hierzulande eher theoretischer Natur ist: Denn bei Prüfung des Themas stellt man fest, dass es trotz der auf über 120.000 Mitglieder gewachsenen jüdischen Gemeinschaft kaum jüdische Metzgereien in Deutschland gibt – der Bedarf scheint zu klein.
Seit einigen Monaten gerät nun auch die letzte Bastion jüdischer Selbstdefinition unter Beschuss: die Brit Mila. In einem viel (zu häufig) gelesenen Aufsatz im Deutschen Ärzteblatt empfehlen der Bochumer Strafrechtler Holm Putzke sowie die Münchner Kinderchirurgen Maximilian Stehr und Hans-Georg Dietz den Medizinern, Beschneidungen abzulehnen, wenn sie religiös begründet und medizinisch nicht notwendig sind. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich der Arzt »wegen Körperverletzung nach Paragraf 223 StGB strafbar macht«.
Auch in Dänemark formieren sich Kinderschützer gegen die Brit Mila. So sollen Jungen erst ab dem 15. Lebensjahr beschnitten werden dürfen, um dann ihr Einverständnis erklären zu können (vgl. Jüdische Allgemeine vom 27. November).
Es entsteht der Eindruck eines an Chanukka erinnernden Déjà-vu. Wer eine »Körperverletzung« am ungeschützten Kind vornimmt, scheint nicht in die Mehrheitsgesellschaft zu passen.
Nachdem einige deutsche Urologen verunsichert zurückgewichen sind, haben namhafte juristische Experten, unter anderen der Göttinger Verfassungsrechtler Kyrill Alexander Schwarz, in der Juristenzeitung erklärt, dass die vom deutschen Grundgesetz garantierte freie Religionsausübung die vermeintliche strafgesetzliche Relevanz außer Kraft setzt, denn der Akt der Beschneidung gelte im Judentum »als Eintritt in den Bund mit Gott und ist zugleich auch ein Zeichen verpflichtender Gemeinschaft des einzelnen Juden mit seinem Volk«.
Neben diesem körperlichen Merkmal religiöser Identität gibt es auch medizinisch relevante Argumente für die Beschneidung. So empfiehlt beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Beschneidung zur Verringerung des HIV-Infektionsrisikos (vgl. S. 13).
Ein Gesetzentwurf wie in Dänemark ist medizinisch ebenfalls kontraproduktiv. Denn Ärzte und Psychologen wissen seit Langem, dass chirurgische Eingriffe in den ersten 30 Lebenstagen weitaus besser zu verkraften sind als später.
Ungeachtet der eigenen religiösen Ausprägung sollten wir Juden in Deutschland uns dieses Jahr zu Chanukka deutlich dagegen wehren, dass andere uns vorschreiben wollen, wie wir unser Judentum zu leben haben. Was unser Judentum ausmacht, bestimmen wir seit Jahrtausenden selbst. Wir wehren uns gegen vorgebliche Gesetzeshüter, die uns unsere Identität zu- gunsten der Mehrheitsgesellschaft abspenstig machen wollen!

Der Autor ist Rabbiner der Gemeinde Düsseldorf und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.

Israel

Regierung will Geisel-Deal am Nachmittag bestätigen

Nach einem vorherigen Plan hätte die Bestätigung erst nach dem Schabbat erfolgen sollen

 17.01.2025

Berlin

Deutscher Appell an Israel und die Hamas

Das Abkommen für eine Waffenruhe im Gazastreifen ist noch nicht in trockenen Tüchern. Deutschland ruft beide Seiten eindringlich zur Zustimmung auf

 17.01.2025

Israel

Sicherheitskabinett beginnt Sitzung zu Gaza-Deal

Voraussichtlich am Samstagabend muss noch die Regierung zustimmen

 17.01.2025

Augsburg/Erfurt/Berlin

Auszeichnungen für Engagement gegen Rechtsextremismus

Mit dem Preis »Das unerschrockene Wort« ehren die deutschen Lutherstädte Menschen mit Zivilcourage. Diesmal geht er an zwei Männer, die angegriffen werden, weil sie sich gegen den Rechtsruck lehnen

 17.01.2025

Nahost

Milliarden für Wiederaufbau des Gesundheitssektors benötigt

Aufgrund des von der Hamas begonnenen Krieges ist offenbar jedes Krankenhaus in Gaza zerstört oder beschädigt worden. Ein Wiederaufbau wird laut der WHO teurer

 17.01.2025

Nahost

Israel: »harte Verhandlungen« in Katar über wichtiges Detail

Israels Präsident erwartet dennoch, dass der Streitpunkt bald geklärt sein wird

 16.01.2025

Italien

»Immunitäten müssen respektiert werden«

Auch in Italien ist Israels Regierungschef Netanjahu laut Außenminister Tajani trotz des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs nach wie vor willkommen

 16.01.2025

Brüssel

EU-Kommission kündigt weitere 120 Millionen Euro für Gaza an

Ein diskutiertes Waffenstillstandsabkommen macht Menschen im Nahen Osten Hoffnung - doch noch immer gibt es viel Leid. Ursula von der Leyen schnürt ein neues Hilfspaket

 16.01.2025

Gaza

Waffenruhe: Israel sieht Probleme bei Klärung von Details

Eine Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts zur Billigung der Waffenruhe im Gaza-Krieg wird verschoben

von Amira Rajab, Cindy Riechau  16.01.2025