Ernst Ludwig Ehrlich

Der Brückenbauer

von Hartmut Bomhoff

»Im Sozialen werden die Menschen zur Menschheit«, lautet ein Satz von Leo Baeck, der auch das Wesen von Ernst Ludwig Ehrlich bestimmte, der am vergangenen Sonntag 86-jährig in Riehen bei Basel verstarb. Der Judaist, Religionsphilosoph und Publizist, der am 27. März 1921 in Berlin zur Welt gekommen war, verstand sich als liberaler Jude, dem Humanität und soziale Gerechtigkeit im Geiste der Propheten mehr galten als Form und Ritual. Nicht, dass er die jüdische Tradition nicht geschätzt und gelebt hätte. Aber warum sollten sich Mut zum Neuen und ein gewisser Konservatismus widersprechen?
Ein Studentenausweis der Berliner Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, ausgestellt auf Ernst Ludwig »Israel« Ehrlich, markiert seine prägenden Jahre als Schüler von Leo Baeck. Der Beamtensohn, der mit seinen Eltern Eva und Martin in der liberalen Synagoge in der Fasanenstraße zu Hause war, musste nach der erzwungenen Schließung der Lehranstalt 1942 Zwangsarbeit leisten. Im Sommer 1943 konnte sich Ehrlich mit gefälschten Papieren in die Schweiz retten. Im Oktober 1943 schrieb er sich an der Universität Bern ein, wo er mit einer Arbeit über den »Traum im Alten Testament« promovierte.
Ernst Ludwig Ehrlich lebte einen Satz von Baeck: »Das Leben wählen und gestalten, das ist die Forderung, die das Judentum an den Menschen richtet.« Von der Schweiz aus wurde er zum Europäer und zum Brückenbauer zwischen den Religionen, den Generationen, zwischen West und Ost. Er war der erste jüdische Referent auf einem katholischen Kirchentag in Deutschland und unterrichtete ab 1955 in Frankfurt am Main und bald in Berlin Judaistik. 1956 erschien seine Geschichte der Juden in Deutschland, 1958 die Geschichte Israels. Von den Anfängen bis zur Zerstörung des Tempels, und zwar bei de Gruyter, dem Verlag, dem er 50 Jahre lang verbunden blieb. 1958 wurde der 37-Jährige mit dem Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Weitere Würdigungen folgten: das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, die Buber-Rosenzweig-Medaille und der Bischof-Hemmerle-Preis, Ehrendoktorate in Basel, Berlin und Luzern, zuletzt der Israel-Jacobson-Preis der Union progressiver Juden. B’nai B’rith Europa machte ihn zum Ehrenvizepräsidenten.
Von 1958 bis 1996 war Ehrlich als Generalsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz tätig, von 1961 bis 1994 auch als Direktor des Europäischen Distrikts von B’nai B’rith. Er lehrte an der Universität Bern und machte sich als gefragter Redner und Experte einen Namen. Während des 2. Vatikanischen Konzils war er als Berater von Kardinal Bea in Basel und Rom an der Vorbereitung der Erklärung über die Juden, Nostra aetate (1965), beteiligt. Später engagierte er sich beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Seine Bedeutung für den jüdisch-christlichen Dialog brachte kürzlich Kardinal Walter Kasper zum Ausdruck: »Sie ge- hören zu den Pionieren und Brückenbauern dieses Dialogs, der nach einer schwierigen und komplexen Geschichte hoffentlich auf Dauer in eine gute Partnerschaft zum Wohl des Friedens in der Welt einmündet.«
Ein besonderes Anliegen war für Ehrlich, der selbst bis in die 90er-Jahre zu den Hohen Feiertagen in Berlin predigte, die Rabbinerausbildung in Deutschland: »Ich verspüre die tiefe Verpflichtung zu helfen, dass das Abraham-Geiger-Kolleg sich entwickeln kann.« Die Querelen in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin bekümmerten ihn bis zuletzt. Ein besonderes Glück war das Einverständnis mit seiner Frau Sylvia. Ihr und der Adoptivtochter aus erster Ehe, Blanka Wild-Ehrlich, gilt das Mitgefühl der vielen Freunde. Die Trauerfeier findet an diesem Donnerstag in der Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich statt, begleitet vom 73. Psalm, der für das Gottvertrauen von Ernst Ludwig Ehrlich s. A. spricht: »Und doch bleibe ich stets bei Dir, meine rechte Hand hast Du erfasst.« Für den 18. November ist eine Gedenkfeier im Centrum Judaicum in Berlin vorgesehen.

Düsseldorf

Igor Levit: Bin noch nicht fertig mit diesem Land

Am Klavier ist er ein Ausnahmekönner, in politischen Debatten meldet er sich immer wieder zu Wort. 2020 erhielt der jüdische Künstler das Bundesverdienstkreuz - das er nun nach eigenen Worten fast zurückgegeben hätte

 03.02.2025

Berlin

Kreise: Union will Gesetz doch zur Abstimmung stellen

Hinter verschlossenen Türen wurde in den Unionsparteien viel über das »Zustrombegrenzungsgesetz« gesprochen. Nun gibt es laut Teilnehmern eine Entscheidung

 31.01.2025

Kommentar

Der stumme Schrei der Arbel Yehoud

Die Israelin wurde am Donnerstag von den Hamas-Terroristen endlich freigelassen. Die junge Frau muss unvorstellbare Qualen ausgestanden haben

von Nicole Dreyfus  31.01.2025

Österreich

»Gegen Antisemitismus und Antizionismus aufstehen«

Der Bundeskanzler, dessen ÖVP Koalitionsgespräche mit der rechtsextremen FPÖ führt, sagt, weder Hass noch Ausgrenzung dürfe Platz geboten werden

 27.01.2025

Irland

Eklat mit Ansage beim Holocaust-Gedenken

Nach seinem Exkurs zum Gaza-Krieg bei der Gedenkfeier in Dublin hagelt es scharfe Kritik am irischen Staatspräsidenten

von Michael Thaidigsmann  27.01.2025

Berlin

Scholz zu Auschwitz-Gedenken: Müssen Erinnerung hochhalten

Am 80. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers wird der Opfer des NS-Terrors gedacht. Viele Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben

 27.01.2025

Gedenken

Mehr Menschen sollen sich Auschwitz anschauen

Wer einmal dort war, stelle sich die Frage, warum die Erinnerung wachgehalten werden muss, nicht, so Zentralratspräsident Schuster

 26.01.2025

Geisel-Abkommen

Scholz: Es müssen weitere Geiseln freikommen

Noch immer sind auch deutsche Staatsbürger in der Gewalt der Hamas

 25.01.2025

Thüringen

Buchenwald-Komitee droht mit Boykott von Gedenkfeiern

Die mögliche Wahl des AfD-Abgeordneten Jörg Prophet zum Vizepräsidenten des Landtags sorgt für Zündstoff. Zuletzt signalisierte die CDU von Ministerpräsident Mario Voigt Gesprächsbereitschaft gegenüber der AfD

 24.01.2025