der bildberichterstatter
Es gibt sie, die Ikonen der Fotokunst. Bilder, die sich ins (kollektive) Gedächtnis brennen. Bilder, die ein ganz besonderes Ereignis, vielleicht nur einen winzigen Augenblick, bewahren und so eine Momentaufnahme historisch machen. Robert Capas »Tod eines Milizionärs« zum Beispiel. Durch den Magnum-Fotografen werden wir auf spektakuläre Art und Weise Augenzeuge, wie 1936 eine Kugel einen republikanischen Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg tötet. Eine ähnliche Intensität zeichnet Jewgeni Chaldejs – nachgestellte – »Flaggenhissung auf dem Reichstag« aus. Man sieht, wie Rotarmisten am 2. Mai 1945 die Sowjetfahne auf den Ruinen eines deutschen Nationalsymbols befestigen. Glorreicher Sieg und bittere Niederlage, verdichtet in einem einzigen Bild.
Dieses Foto hat den Kriegsreporter Jewgeni Chaldej berühmt gemacht. Ihm und seiner Arbeit ist jetzt eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau gewidmet, mit mehr als 200 Originalen die erste umfassende Retrospektive weltweit. Alle Aufnahmen stammen aus der Sammlung Ernst Volland und Heinz Krimmer. Sie gewähren Einblick in das Werk eines Bildberichterstatters, dessen Wohl und Weh eng mit den Irrungen und Wirrungen der Sowjetunion verbunden war. Denn Chaldej war Jude. Das half ihm, in den nachrevolutionären Jahren aufzusteigen. Und es führte dazu, dass er nach dem Krieg bei Stalin in Ungnade fiel.
Geboren wird Jewgeni Chaldej 1917 im ukrainischen Donezk. Seine Mutter stirbt ein Jahr später während eines antisemitischen Pogroms. Mit 15 Jahren veröffentlicht der Autodidakt sein erstes Foto in einer Betriebszeitung. In Moskau wird man auf den jungen Mann aufmerksam und macht ihn zum Korrespondenten der TASS, bei Kriegsausbruch zum Fotografen der Roten Armee. Dreißig Meter Film bekommt er für seine Aufgabe zugeteilt, 200 wären nötig gewesen. Sein Einsatzgebiet: überall. Zunächst dokumentiert er das Grauen in Murmansk an der Nordfront. Dann folgen die Krim, Bukarest, Budapest, Wien und schließlich Berlin. Es sind hochsymbolische Fotos wie das des jüdischen Ehepaares in der ungarischen Hauptstadt (o.), die während dieser Höllenfahrt entstehen. Chaldej hatte zudem einen Drang zur Dramatik. Vieles wirkt auf den ersten Blick geradezu in Szene gesetzt. Da hängen Rußwolken über ausgebrannten Gebäuden und liegen tote Nazis auf einer Wiener Parkbank, die Selbstmord begangen hatten. Etwas theatralisch muten diese Stillleben an.
Nach dem Krieg beginnt für Chaldej eine schwere Zeit. 1948 wird er wegen »Unprofessionalität« entlassen. Tatsächlich muss der Marineleutnant gehen, weil er Jude ist. Aus Angst vor Verfolgung vernichtet Chaldej sogar einen Teil seines Archivs. Fortan schlägt sich der Fotograf mit Gelegenheitsjobs durch. Erst 1956, drei Jahre nach Stalins Tod, findet Chaldej eine Anstellung bei der Zeitung »Prawda«. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, dass sie auch die Fotos zeigt, die in dieser Zeit entstanden sind. Es sind Bilder des sowjetischen Alltags, mit denen Chaldej thematisch an seine Schaffenszeit vor dem Weltkrieg anknüpft. Dennoch haben ihn, der 1997 in Moskau starb, die Jahre zwischen 1941 und 1945 nie ganz losgelassen. 25 Jahre nach dem Krieg hat er die Helden von einst noch einmal vor die Kamera geholt. Es sind alte Gesichter, in die der Betrachter blickt. Aber es sind auch Gesichter, denen die Zeit nichts von ihrem Stolz nehmen konnte. Christian Böhme
Bis zum 28. Juli. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag, 10-20 Uhr. Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin. Weitere Informationen im Internet: www.chaldej.de