Er ist Deutschlands beliebtester TV-Fußballkommentator, und am 27. November feiert er seinen 60. Geburtstag. Marcel Reif hat sich in den letzten 20 Jahren in die Herzen der Deutschen geredet. Und zwar mit einer arroganten Teilnahmslosigkeit, die man sonst nur von verklemmten Intellektuellen auf privaten Partys kennt. Und mit einem Fusselbart, der den Verdacht nahelegt, er habe sich aus Yassir Arafats Erbmasse den Rasierapparat besorgt.
Dass Marcel Reif, 1949 im polnischen Walbrzych geborener Sohn eines Juden und einer Katholikin, aufgewachsen in Polen, Israel und Deutschland, einmal der Liebling der hiesigen Fußballfans werden könnte, ist auch im Rückblick noch schwer zu verstehen. Versuchen wir es dennoch: Als er 1984 beim ZDF anfing, war beim »aktuellen sportstudio« gerade eine Generation der jungen Wilden am Werk. Michael Palme, Béla Réty, Jochen Bouhs, sogar der junge Rolf Töpperwien setzten auf Hintergrundinformation, reflektierten das Gesehene und nervten nicht mit Floskeln vom »Hexenkessel«, vom »Sonntagsschuss« oder vom »psychologisch so wichtigen« Tor »kurz vor dem Pausentee«. Mittlerweile sind die jungen Wilden alt geworden, Palme und Bouhs traten resigniert ab, Réty und Töpperwien flüchteten sich ins bloße Repetieren von Fußballfakten, Reif wurde von den Privaten abgeworben – erst RTL, später Premiere, jetzt Sky.
Dabei steht Reif noch in einer anderen, zwar kleinen, aber sehr stolzen Tradition: die der jüdischen Sportjournalisten im deutschen Sprachraum. Sie beginnt mit Walther Bensemann, dem Begründer des Fachblatts Kicker, der Fußball als kosmopolitische Veranstaltung verstand. Auch der Wiener Heribert Meisel, der ein Jahr lang das »aktuelle sportstudio« moderierte, gehört in diese Reihe. Oder Alex Natan, der selbst ein großer Leichtathlet war und vor den Nazis emigrierte. Solche Journalisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie mangelnde Kompetenz nicht mit nationalistischem Geschrei kompensieren können: Sie müssen gefälligst Ahnung vom Fußball haben, sonst können sie sich nicht halten. »Wenn ich kommentiere, werden Sie bei mir sehr wenig diesen manchmal gewünschten Patriotismus finden«, hat Reif einmal gesagt. Da hat er recht, auch wenn man seine sonstigen Sprüche nicht unbedingt goutieren muss. Aber anders als das Gros seiner Kollegen blökt Reif selbst dann nicht deutschnational, wenn die DFB-Elf kurz vor Schluss mit einem Tor zurück-liegt. Er setzt eher auf – nicht immer passende – Ironie: »Die Spieler von Ghana erkennen Sie an den gelben Stutzen«, sagte er einmal bei einem Spiel Deutschlands gegen das afrikanische Land. Seine Ironie hat ihn letztlich legendär gemacht. 1998 beim Champions-League-Spiel zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund ging vor dem Anpfiff ein Tor zu Bruch. Mit Kalauern wie »Ein Tor würde dem Spiel gut tun« oder »Das erste Tor ist schon gefallen« quatschte sich Reif zusammen mit Günther Jauch in die Fernsehgeschichte.
Da, leider, ruht er sich nun aus. In Jauchs wegen Bewerbens von Glücksspiel mittlerweile verbotener »SKL-Show« hock-te er regelmäßig als Prominenter, der Wissensfragen beantworten sollte. Der Befund ist traurig: Neben dem üblichen Spaßpersonal wie Hella von Sinnen oder Hellmuth Karasek fiel Reif nicht weiter auf.
Nun also wird Marcel Reif 60. Und bei aller Kritik, die man an ihm üben kann und soll und muss, gilt: Mag sein, dass er nicht so gut ist, wie er selbst glaubt – aber er ist der Beste, den wir haben. Martin Krauß
reifs leistung