von Oliver Lück
Hernan Alvarez hat eine sichere Methode, Fußballfans zum Staunen zu bringen. Er braucht bloß die Geschichte erzählen, die er in den letzten Wochen und Monaten immer häufiger zum Besten geben mußte. »Vor fast 25 Jahren war das«, erzählt er, als er in einem Taxi in Buenos Aires einem damals noch weitgehend unbekannten Mann begegnete. Sobald er heute den Namen nennt, ist meist Ruhe. Die einen verstummen irritiert, weil sie denken, sie würden an der Nase herumgeführt. Die anderen schweigen voller Erwartung, da sie meinen, er mache einen Witz und die Pointe komme noch. Prompt geglaubt habe es ihm noch niemand, wenn Hernan Alvarez sagt: »Der Fahrer des Taxis war José Nestor Pekerman.« Das heißt: der heutige Trainer der argentinischen Fußball-Nationalmannschaft.
Gerade jetzt, während der Weltmeisterschaft in Deutschland, mehren sich vergleichbare Erzählungen. Es ist kein Problem mehr, Menschen aus Buenos Aires zu finden, die mit Pekerman im Taxi gefahren sein wollen. Andere schildern, wie der Nationalcoach ihnen auf der Straße Eis verkauft hat. Wiederum andere wollen Reißverschlüsse oder Schlüsselanhänger beim fliegenden Händler Pekerman gekauft haben. Alles fabulierte Gerüchte, hervorgerufen durch die stets wiederkehrende WM-Hysterie in einem fußballverrückten Land?
Der Mann, der es wissen muß, ist hager. Eingefallene Wangen, graue Haare, ernster Blick – das ist José Pekerman, Urenkel ukrainischer Juden, einer der gewieftesten Taktiker im Welt-Fußball. »Wissen sie«, sagt er, »in Argentinien wird vieles gesagt – über mich wie über jeden anderen.« Also doch bloß das Gerede von Wichtigtuern? »Die meisten Geschichten sicherlich, doch als ich meine Profikarriere wegen einer schweren Knieverletzung mit 28 beenden mußte, mußte ich auf andere Art mein Überleben sichern, da ich aus keiner wohlhabenden Familie stamme«, sagt Pekerman. »Ich bin hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen, habe mich jahrelang mit Aushilfsjobs durchgeschlagen und bin auch Taxi gefahren. Ich hatte in meinem Leben aber im- mer ein Lächeln im Gesicht.«
Schon als Taxifahrer habe er sich ungern reinreden lassen, gesteht er, auch von keinem Fahrgast. »Ich bin immer den Weg gefahren, von dem ich überzeugt war, daß er der beste ist«. An dieser Auffassung hat sich nichts geändert. Der 56jährige ist nicht ängstlich, wenn es darum geht, unpopuläre Meinungen zu vertreten. »Meine Ansichten sind meine, ob einem das gefällt oder nicht«, betont er, »ich scheue mich nicht, harte Entscheidungen zu treffen, gerade weil ich eine ernste Lebenserfahrung habe und weiß, wer ich bin. So bin ich auch Nationaltrainer geworden, und deshalb werde ich mich nicht ändern.« So mußte Pekerman in den bisherigen 21 Monaten als zweitwichtigster Mann Argentiniens – nach dem Staatspräsidenten – viel Kritik einstecken. Etwa, als er sich dagegen entschied, zwei erfahrene Spieler wie Martin Demichelis vom FC Bayern München oder Juan Sebastián Verón von Inter Mailand mit zur WM zu nehmen. Auch die großen argentinischen Fußballweisen wie César Luis Menotti (Weltmeister 1978) oder Carlos Bilardo (Weltmeister 1986) meldeten sich zu Wort und rügten ihren Nachfolger mehrmals in der Öffentlichkeit. Was antwortet Pekerman seinen Kritikern? »Nichts! Dafür bleibt keine Zeit, was sollte das meiner Mannschaft helfen?«
Pekerman will kein Star sein. Er ist seit zwanzig Jahren mit Matilde verheiratet, hat zwei Töchter, Allüren oder Affären sind nicht bekannt. Der »Ilustre Desconocido«, der berühmte Unbekannte, wie er in seiner Heimat genannt wird, hatte zunächst sogar zwei Angebote für den Posten des Nationaltrainers abgelehnt. Lieber arbeitete er im Hintergrund als Coach der U20-Auswahl. 1995, 1997 und 2001 feierte er mit dem Nachwuchs den WM-Titel. Bemerkenswert war obendrein, daß die für ihr unfaires Spiel berüchtigten Argentinier dabei jedes Mal den Fairneßpokal gewannen. »Die akribische Arbeit von Pekermann ist seit vielen Jahren bemerkens- wert. Er hat eine Spielphilosophie entwickelt, die bis ins letzte Detail durchdacht ist«, lobt Deutschlands Teamchef Jürgen Klinsmann. »Bewundernswert ist zudem sein soziales Engagement.«
Um ein System zur Reife zu bringen, brauche es vom Jugendbereich bis zu den Männern etwa zehn Jahre, doziert Pekerman mit ruhiger Stimme. Elf Jahre sind vorüber, seit er die Verantwortung übernahm und das Nachwuchskonzept des Verbands umkrempelte. Beinahe könnte man meinen, er habe den anvisierten Triumph 2006, die dritte Weltmeisterschaft Argentiniens, über ein Jahrzehnt bis ins Detail vorbereitet. Zumindest aber hat er ein beeindruckendes Fundament gelegt. Argentinien könnte drei hervorragende Mannschaften für die Weltmeisterschaft aufstel- len. »Wir wollen Weltmeister werden und müssen alle Spiele gewinnen«, bekennt Pekerman. Er verzieht bei diesem Satz keine Miene. Er weiß, daß seine Chancen weit besser stehen als für die meisten anderen.
Und dann huscht doch noch für zwei, drei Sekunden ein Lächeln ins Gesicht von José Pekerman, der sonst selten Details über sein Privatleben – etwa seinen Glauben – preisgibt. Seinen Hund und seine Katzen habe er nach den Ländern benannt, in denen er die drei Weltmeisterschaften mit der U20-Auswahl gewann, verrät er: Katar, Malaysia und Argentinien. Ob er schon wisse, wie ein weiteres Haustier heißen könne? »Natürlich, was glauben Sie denn?«, fragt er und weiß die Antwort längst: Deutschland.
Oliver Lück ist Redakteur des monatlichen Fußballmagazins RUND
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