von
Katharina Schmidt-Hirschfelder
Helsinki ohne André Zweig sei wie Schabbes ohne Lieder, sagt Emanuel Schapira. »Er singt, dass einem das Herz aufgeht«, schwärmt der pensionierte Barmizwa-Lehrer vom Kantor der Synagoge in Helsinki. Für die jüdische Gemeinde der finnischen Hauptstadt ist André Zweig, der als Kind mit seinen Eltern von Rumänien nach Israel emigrierte, in der Tat ein Glücksgriff.
Dass der knapp 50-jährige Kantor nebenbei auch auf säkularen Veranstaltungen singt und im Sommer Touristen die Stadt zeigt, ist für die Gemeinde kein Problem. Denn auch wenn die Synagoge dem orthodoxen Ritus folgt, Helsinkis rund 1.300 Gemeindemitglieder leben eher säkular und zeigen für die weltlichen Nebenjobs ihres beliebten Kantors volles Verständnis.
Diese preist Zweig gern selbst auf seiner Homepage an. Er sei ein Künstler mit »Herz, Beat und Serenade«, beherrsche nahezu jedes musikalische Genre und singe in 15 Sprachen. In den Genuss eines dieser spektakulären Auftritte kommen an diesem Abend die Bewohner des jüdischen Altersheims in der Malminkatu, mitten in Helsinkis Trendviertel Kamppi. Kantor Zweig singt ein Geburtstagsständchen in mehreren Sprachen – für die Zuhörer zweifellos der Höhepunkt des Festes. Manche von ihnen kennen die chassidischen Weisen, die er seiner Gitarre entlockt, noch aus ihrer Kindheit. Es dauert keine zwei Minuten, und einige stimmen gedankenversunken ein. Ob russische Romanzen, israelische Schlager oder finnischer Tango – Musik ist Zweigs Leidenschaft.
»Das hier ist Ehrensache«, versichert Zweig mit einem gewinnenden Lächeln, während er vom Geburtstagskuchen kostet. Vor einiger Zeit, da sei er auf der Segelyacht eines finnischen Geschäftsmannes aufgetreten. Und mitten im Konzert vom Regen überrascht worden. »Ich war froh, als ich wieder an Land war. Das Klima ist unvorhersehbar hier oben im Norden«, sagt er und schüttelt den Kopf.
Als Zweig vor über 20 Jahren in Helsinki ankam, war er eigentlich nur auf Skandinavien-Tournee, arrangiert vom israelischen Tourismusministerium. Der Musi- ker, der als Entertainer in der israelischen Armee Karriere gemacht hatte, sollte im »kalten, dunklen Norden« für Israel werben. Vom norwegischen Tromsø zog der Barde weiter über Kopenhagen und Stockholm bis nach Helsinki. Die Stadt sei ihm damals wie das Ende der Welt vorgekommen. Und ausgerechnet hier begegnete er seiner späteren Frau. Nach ein paar Jahren in Israel kehrte die junge Familie 1984 nach Finnland zurück. Die Gemeinde suchte damals gerade einen neuen Kantor. »Ich hatte die Stimme und kannte die Traditionen von zu Hause. Also bekam ich den Job«, sagt Zweig.
Ende der 90er-Jahre rief dann das finnische Tourismusbüro bei ihm an. Ob er israelische und englische Touristen durch die Stadt führen wolle. Zweig nahm an. »Auf den großen Kreuzfahrtschiffen, die unten am Kai von Katajanokka halten, sind immer auch jüdische Touristen«, erklärt der Entertainer. Die »Jewish Heritage Tour Finland« zählt dabei zu den Spezialangeboten des Allroundkünstlers. Eine kurzweilige Rundfahrt, die Zweig gekonnt mit Anekdoten und Überraschungen auflockert. Wenn er den Besuchern zum Beispiel die Synagoge zeigt, einen blassgelben Kuppelbau von 1906, pflegt er den »großartigen Kantor« hervorzuheben. Bis die Touristen den Witz verstanden haben, hat Zweig meistens schon unbemerkt seine Gitarre ausgepackt und zu singen begonnen. Unter begeistertem Applaus.
Einmal habe er sogar für die finnische Staatspräsidentin Tarja Halonen gesungen, berichtet Zweig stolz. Und überhaupt habe er »ein sehr besonderes Leben«. Deshalb ziehe er auch einen stillen Abend zu Hause vor. Während seine jetzige Freundin lieber das Helsinkier Partyleben genießen wolle. »Das habe ich schon hinter mir: Empfänge, Partys, Fernsehen«, seufzt der Musiker. In ein paar Jahren wolle er sich zur Ruhe setzen. Nicht in Finnland. »Hier lebe ich zwar zurzeit. Aber mein Zuhause ist Israel«, erklärt Zweig nachdrücklich. Wann er seine Pläne umsetzt, ist offen. »Denn wer soll dann hier singen?«, fragt er verschmitzt.
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