von Ingo Way
Sie hießen Sigmund Freud, Alfred Adler oder Wilhelm Reich, waren Juden und haben in der Erforschung des Seelenlebens Revolutionäres geleistet, legten die Grundsteine beinah alle heute praktizierten Formen der Psychotherapie, die aus der modernen Welt nicht mehr wegzudenken sind.
Jahrzehntelang waren die verschiedenen Formen der Psychoanalyse in Europa und Amerika therapeutisch tonangebend. In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts waren es amerikanische Therapeuten, die merkten, dass die Psychoanalyse in der Praxis an ihre Grenzen stieß. Auch die von Carl Rogers entwickelte Gesprächstherapie sowie die Verhaltenstherapie, die den Fokus auf die Bewältigung aktueller Probleme und weniger auf die Erforschung frühkindlicher Fehlentwicklungen legt, brachten bei vielen, besonders bei depressiven Patienten nicht die gewünschten Ergebnisse.
Wieder waren es jüdische Psychologen wie Donald Meichenbaum, Albert Ellis oder Aaron T. Beck, die Neuland betraten, indem sie kognitive Verfahren in die Psychotherapie einführten – das heißt solche, die sich mit schädlichen Gedanken befassen und versuchen, diese zu verändern. In der Wissenschaftsgeschichte wird diese Neuerung als »kognitive Wende« bezeichnet.
Gerade Aaron T. Beck gilt als »Vater der Kognitiven Verhaltenstherapie«. Beck, geboren 1921 in Providence, Rhode Island, als Sohn jüdischer Migranten aus Russland, legte den Schwerpunkt auf typische logische Denkfehler, die Depressive begehen, und die zu sogenannten »automatischen Gedanken« und einer verzerrten Realitätssicht führen. So ziehen depressive Menschen zum Beispiel willkürliche Schlussfolgerungen, indem sie bei jedem Fehler, den sie machen, denken, sie seien grundsätzlich unfähig oder wertlos. Oder sie verallgemeinern unzulässig, etwa indem ein Kollege, der grußlos an ihnen vorübergeht, bei ihnen den Gedanken auslöst, von niemandem gemocht zu werden.
In Becks Kognitiver Therapie geht es nun darum, die starren depressiven Denkmuster zuerst bewusst zu machen und anschließend zu überwinden. Der Patient wird angewiesen, seine Gedanken zu beobachten: Stimmt das wirklich? Gibt es nicht noch andere Interpretationsmöglichkeiten? Zum Schluss werden gesündere, hilfreichere Gedanken entwickelt und im Alltag eingeübt. Das Ziel ist, die eigenen Gedanken immer wieder mit der Realität abzugleichen, um nicht in einen Abwärtsstrudel der Depression zu geraten.
Beck und seine Schüler erzielten mit der kognitiven Methode beachtliche Erfolge. Doch es gab Patienten, bei denen auch diese Therapieform keine Besserung erbrachte. Es war ein Schüler von Beck, Jeffrey Young, der erkannte, dass es Menschen gibt, die unter mehr als nur einer akuten Depression litten, sondern die ein lebenslanges Muster psychischer Probleme mit sich herumschleppen. Young, der bei Aaron Beck promoviert hatte, zahlreiche Bücher und Aufsätze gemeinsam mit ihm veröffentlichte und als Forschungsdirektor an Becks Klinik arbeitete, übernahm von seinem Lehrer Beck den Begriff des Schemas. Laut Young gibt es bei jedem Menschen bestimmte Grundschemata, die den Sinn haben, seelische Grundbedürfnisse zu befriedigen. Ausnahmslos jeder Mensch hat Bedürfnisschemata wie Geliebt-werden-Wollen, Unabhängig-sein-Wollen. Krank wird jemand nur dann, wenn er in seiner Kindheit, etwa durch elterliche Vernachlässigung, bestimmte Schemata erworben hat, die im Erwachsenenleben schädlich und dysfunktional werden.
18 solcher dysfunktionalen Schemata hat Young identifiziert, darunter etwa »Verlassenheit«, »Misstrauen«, »Unzulänglichkeit«, »Versagensangst«, »Gehemmtheit« oder »Verletzbarkeit«. Young stellte fest, dass diese Schemata sich nicht allein auf der kognitiven Ebene bearbeiten ließen. So nahm er auch Elemente aus anderen Therapieformen in die Schematherapie hinein, unter anderem solche aus der Gestalttherapie, oder auch imaginative Techniken – das heißt, der Patient wird auf eine Fantasiereise in seine Kindheit geführt, um herauszufinden, wie diese negativen Schemata entstanden sind. Der Therapeut übernimmt dabei zeitweilig die Rolle einer Elternfigur, um die vernachlässigten emotionalen Bedürfnisse des Patienten erst einmal zu erfüllen. Ziel ist es, wie bei jeder Form der Psychotherapie, natürlich auch hier, davon unabhängig, gleichsam nachträglich erwachsen zu werden.
Indem er die Rolle der Kindheit und der Erinnerung wieder in die Kognitive Therapie hineingebracht hat, hat Young – selbst nicht jüdisch – die zwei Hauptströme der Psychologie des 20. Jahrhunderts, die beide von Juden schiffbar gemacht wurden, wieder zusammengeführt. Young hat aus verschiedenen Therapierichtungen, die lange als unvereinbar galten, das Beste genommen, es zu etwas Neuem zusammengefügt und damit vielen Menschen mit Depressionen und sonstigen Persönlichkeitsstörungen geholfen, denen bislang kaum zu helfen war. In Deutschland bemüht sich vor allem der Psychologe Heinrich Berbalk von der Universität Hamburg um die Verbreitung der Schematherapie.
Aaron T. Beck dürfte die Aktivitäten seines früheren Schülers mit Wohlwollen betrachten. Gelegentlich publizieren die beiden noch gemeinsam. Beck ist als Professor seit geraumer Zeit emeritiert, hat aber sein Büro am Psychopathologischen Institut der University of Pennsylvania behalten und lehrt und forscht, mit seinen 87 Jahren, dort noch heute.