Sderot

Denkzettel

Im Süden Israels ist nach der Militäroperation im Gasastreifen wieder relative Ruhe eingekehrt. Immer noch werden von der Hamas Raketen und Granaten abgeschossen, aber deutlich weniger als zuvor. In der Kleinstadt Sderot, die in den vergangenen acht Jahren unter Dauerbeschuss stand, kehrt das Leben auf die Straßen zurück. Die Tische vor den Cafés sind gut besetzt, Spaziergänger trauen sich wieder vor die Tür, auf den Spielplätzen hört man Kindergeschrei, das lange Zeit verstummt war. Und doch ist die Angst nicht verschwunden – was sich beim Abstimmungsverhalten in Sderot und Umgebung bei der jüngsten Knessetwahl deutlich zeigte.
In der Nähe liegt der Kibbuz Dorot, der Knoblauch- und Kräuterprodukte herstellt – unter anderem für den Export nach Deutschland und in die USA. Dorot ist 1941 von deutschen Einwanderern ge-
gründet worden, traditionell wählten die Kibbuzniks die Arbeitspartei. So auch die 44-jährige Sekretärin Sima M., Mutter von drei Kindern, die seit ihrer Jugend in Do-
rot lebt. »Ich wusste nicht, wen ich wählen sollte«, sagt sie. »Die Arbeitspartei ist zu nachgiebig, um das Land zu schützen. Livni finde ich nicht schlecht, aber Kadima ist mir eigentlich zu rechts. Vom Likud ganz zu schweigen.« Letzten Endes ging sie überhaupt nicht zur Wahl.
Viele Einwohner von Sderot blieben am Wahltag ebenfalls zu Hause, weil sie glaubten, dass sie mit ihrer Stimme ohnehin nichts ändern würden. Im Wahllokal des Chabad-Lubawitsch-Zentrums hatte sich dennoch eine lange Schlange gebildet. Hier kennt fast jeder jeden. »Und was wählst du?«, fragte man einander. »Natürlich die Arbeitspartei«, sagte ein junger Mann mit Kippa. Kurze verdutzte Blicke – dann wurde über den offensichtlichen Scherz gelacht. Von der Linken erwartet hier niemand eine klare Linie gegen die palästinensischen Angriffe.
Die 22-jährige Liliana S. und ihr Vater Avram (61) diskutierten noch kurz bevor sie ihr Kreuz machten. Avram, bisher immer traditioneller Wähler der Arbeitspartei, wollte seine Stimme diesmal der Lieberman-Partei Israel Beiteinu geben. »Aus Protest«, wie er betont. »Es ist gut, dass die jetzige Regierung endlich gegen die Hamas zurückgeschlagen hat. Aber dann haben sie mit Rücksicht auf die Weltmeinung auf halbem Wege kehrtgemacht.« Avram will Lieberman nicht an der Regierung sehen,
hoffte aber, dass ein gutes Stimmergebnis für den Rechtspopulisten als Denkzettel für die übrigen Parteien wirkt.
Tochter Liliana kann diese Argumentation nicht nachvollziehen. »Lieberman ist ein Faschist. Er macht zwar markige Sprüche, kann aber das Problem nicht lösen.« Sie selbst schwankte, noch unmittelbar vor der Wahl, zwischen Barak und Livni. In der Wahlkabine entschied sie sich dann schließlich für – Benjamin Netanjahu. »Als der Wahlzettel vor mir lag, habe ich mir gedacht, was soll’s? Den Konflikt mit den Palästinensern kann nur jemand lösen, der stark und kompromisslos genug ist.«
Netanjahu und Lieberman waren dann auch die großen Gewinner in Sderot – Li-
kud mit 33, Israel Beiteinu mit 23 Prozent. Die orthodoxe Schas-Partei mit 13 Prozent noch vor Kadima (12 Prozent). Von linken Parteien wollte hier niemand mehr etwas wissen. Die Arbeitspartei lag weit abgeschlagen mit fünf Prozent zwei Punkte hinter der Partei der Siedlerbewegung. Ingo Way

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