Sein Synagogengesang berührt. Kantor Teron Cohen setzt nicht nur Noten in Töne um. Er legt Gefühl in seine Stimme – je nach Anlass, Feiertag und Text, ob es sich nun um Pessach, Kabbalat Schabbat oder Jom Kippur handelt. Dass Teron Cohen schön und volltönend singt, versteht sich fast von selbst. »Wir bringen das Glück und die Verletzungen unseres Lebens mit in den Gottesdienst«, sagt der 37-jährige Amerikaner. »Das hebräische Wort für Kantor, Chasan, bedeutet wörtlich Visionär. Meine Rolle ist es, den Text lebendig zu machen, die Gemeinde mit dem Körper, der Stimme, der Seele und dem Gefühl zu inspirieren.« Cohen vertritt Kantorin Avitall Gerstetter in der Synagoge Oranienburger Straße während ihrer Elternzeit. Viele Beter äußern sich begeistert über Cohen und sein detailliertes Wissen zur Liturgie.
Das hat er am Schechter-Institut in Jerusalem und am Jewish Theological Seminary in seiner Geburtsstadt New York erworben – beides sind Institutionen der »Masorti«-Bewegung. Sie vertritt im jüdischen Spektrum eine Mittelposition zwischen liberal und orthodox. Teron Cohens Vater war Folksänger, viele seiner Vorfahren Kantoren. »Ich wollte eine Familientradition wieder aufgreifen«, sagt er. Dabei war ihm der Kantorenberuf keineswegs in die Wiege gelegt worden: Als Jugendlicher wollte er Punkrocker werden und spielte als Drummer in einer Band. Erst mit 24 Jahren kam er mit einem Musikstudium zum Gesang.
»Als Kantor bin ich eine Art Sekundenkleber zwischen den Menschen«, sagt der New Yorker mit jemenitischen Wurzeln. Es gehe darum, Beziehungen zu stiften, die Gemeindemitglieder in ihrem Leben zu begleiten, sie bei Abendessen und Kiddusch oder Kaffee und Donuts näher kennenzulernen. Das persönliche Interesse an den Betern ist ihm anzumerken, denn schnell sind sie mit ihm in ein Gespräch verwickelt. »Der Beruf des Kantors ist kein Job«, sagt Cohen.
Besonders wichtig ist ihm der Umgang mit Kindern und Jugendlichen. »Ich möchte ihnen vermitteln, dass Jüdischsein cool ist«, sagt er. Er bedauert, dass sein Deutsch noch nicht ausreicht, um sich ihnen in jeder Situation verständlich zu machen. Aber er lernt die Sprache schnell und meistert Hürden der deutschen Aussprache wie »ü« und »ch« schon ohne Schwierigkeiten.
Seit zwölf Jahren hält sich Cohen mit Yoga fit. »Als Sänger ist mein Körper mein Instrument. Also muss ich etwas für ihn tun.« Ganz in der Nähe seiner frisch bezogenen Wohnung in Mitte hat Cohen ein Yogastudio entdeckt. Die Teilnehmer dort verweilen lange in den einzelnen Yogapositionen, nutzen Hilfsmittel wie Gurte und Holzblöcke, um die Dehnungen zu verstärken und die Übungen möglichst korrekt auszuführen. »Yoga und Judentum haben miteinander gemein, dass beides Tätigkeiten sind«, sagt Cohen. Auch im Judentum gehe es in erster Linie ums Tun und darum, die Vorschriften der Tradition auszuführen: zum Beispiel Schabbat zu halten und koscher zu leben.
Seine bisherige Synagoge befand sich im New Yorker Vorort Roslyn. Die Oranienburger Straße liegt hingegen im Zentrum der Stadt, die Beterschaft ist bunter und vielfältiger als in der Vorstadt. Gleichberechtigung im Gottesdienst verbindet die Beterinnen und Beter seit der Wiedereröffnung der Synagoge in den 90er-Jahren. An der Beterschaft in der Oranienburger Straße gefallen Teron Cohen vor allem der Wissensdurst und der Wunsch, mehr über die jüdische Tradition zu erfahren.
Auch Teron Cohen ist mit Wissensdurst nach Berlin gekommen: Er möchte sich die deutsch-jüdische Musiktradition aneignen. Schließlich singt er in der Synagoge, in der einst Louis Lewandowski amtierte. Und er möchte mehr über die deutschen Juden erfahren. Ein Stereotyp ist ihm in den letzten Wochen schon gründlich ausgetrieben worden: dass alle deutschen Juden pünktlich seien. Gerald Beyrodt
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