Dominikanische Republik

Davidstern fürs Rathaus

von Hans-Ulrich Dillmann

Ein kleiner Lieferwagen fährt durch die Straßen von Sosúa. Die Stadt im Norden der Dominikanischen Republik ist gerade erwacht, die Sonne hat die Häuser kurz in ein warmes rotviolettes Licht getaucht. Vor einer Hotelanlage direkt neben der Synagoge besteigen ein paar Touristen einen zebragestreiften Allradlaster zu einem Safari-Ausflug in die nahen Berge. »Wählt Benny Katz«, tönt es aus den Lautsprechern auf der Ladefläche. Auf dem Plakat, das die Boxen aufdeckt, trägt Benny Katz eine Kippa. Der 43jährige will die nächsten vier Jahre die Geschicke der Stadt kommunalpolitisch lenken, will der Bürgermeister eines knapp 10.000 Einwohner zählenden Städtchens werden, das in den 40er Jahren sein Vater Martin mit aufgebaut hat. Der hatte sich als junger Mann aus Müntzenberg bei Frankfurt in die Karibikrepublik vor der Schoa gerettet.
Der heute 89jährige Martin Katz heiratete in Sosúa eine Dominikanerin, Sohn Benny wuchs mit der katholischen Religion seiner Mutter und dem Judentum seines Vaters auf. »Ich bin Mitglied der Synagogengemeinde«, sagt Benny Katz, »was mich jedoch unterscheidet ist, daß ich Jesus als Messias anerkenne.« Jeden Freitag und Samstag kommen die rund 40 Mitglieder der von Benny Katz inspirierten kleinen Gemeinde der »Judíos Messianicos«, der »Messianischen Juden«, zum Gottesdienst im Büro von Katz zusammen. »Aber als Bürgermeister werde ich für alle Bewohner da sein«, sagt Katz.
Der Rechtsanwalt hat bereits am frühen Morgen einige seiner ehrenamtlichen Helfer im seinem Wahlkampfbüro versammelt. Das ist in den Räumen seines Autohauses untergebracht. »Ich finanziere mei- nen Wahlkampf selbst«, sagt der Vater von zwei Jungen und einem Mädchen. Wenn sie nicht Schule haben, helfen die Söhne, die 18 und 20 Jahre alt sind, im Wahlkampf. Katz bewirbt sich für den Bloque Institucional Socialdemocrata (BIS) um das Bürgermeisteramt. Eigentlich hatte er sich auf der Liste der eher rechtskonservativen Sozialchristlichen reformistischen Partei (Partido Reformista Social-Cristiano - PRSC) zur Wahl stellen wollen, aber auf Grund eines Wahlbündnisses verzichtete die Partei auf eine Kandidatur, um den Bewerber der Bündnispartei zu unterstützen. »Sosúa braucht einen Bürgermeister, dessen erste Aufgabe es nicht ist, sich und seinen politischen und persönlichen Freunden die Taschen zu füllen«, begründet Benny Katz seinen Parteiübertritt und das Festhalten an seiner Kandidatur. »Wir müssen uns wieder direkt in die Politik einmischen«, findet Katz.
Auf dem Kopf trägt er eine bestickte graue Kippa, am rechten Ringfinger einen Siegelring mit dem Magen David. Die jüdischen Siedler hätten das seit Jahren nicht mehr getan – aus falsch verstandener Zurückhaltung, weil die Siedlung immer größer, der Anteil der Juden jedoch immer kleiner geworden sei. Seit Sosúa 1978 gesetzlich zu einer Verwaltungsgemeinde wurde, habe der ehemalige, seit 1940 bestehende Siedlerrat seine Funktion verloren. Der entschied bis dahin über alle Fragen der Infrastruktur der jüdischen An- siedlung im Norden der Dominikanischen Republik. »Wenn es Konflikte gab unter den Bewohnern, tagte eine Schiedskommission«, sagt Benny Katz.
Aber aus dem einst jüdischen Städtchen in der Karibik, in dem bis in die 80er Jahre »deutsch oft mit Wiener Akzent« gesprochen wurde, ist eines der dominikanischen Touristenzentren geworden – mit hohem Anteil deutscher Sonnenhungriger. »Sosúa«, sagt Katz, »hat längst sein Gesicht verändert.« Wo einst kleine, eingeschossige Siedlerhäuser aus Holz mit Zinkdach und Schattenveranda standen, dominieren Betonhäuser und mehrstöckige Bettenburgen, in denen sich Gäste aus aller Welt »all inclusive« während ihres Urlaubs verwöhnen lassen können. Den Stadtpark mit seinen Eingangsbögen in Form der Moseschen Gesetzestafeln hat ein daneben liegendes Hotel renoviert, die Bögen ohne Genehmigung einfach abreißen lassen. Die Stadtverwaltung kümmert sich nicht drum.
Die Spätfolgen des Tourismusbooms lassen sich an allen Ecken und Enden der Stadt ablesen: Es fehlt ein Stadtentwicklungsplan, der die schlimmsten Bausünden verhindern würde, lärmende Diskotheken rauben Alteinwohnern den Schlaf. Nachts suchen Männer – auch viele deutsche Urlauber – den schnellen käuflichen Sex und manchmal noch viel zu junge Mädchen das nötige Geld, um ihren Familien ein Einkommen zu verschaffen. In den 90er Jahren hatte Sosúa den Ruf, der »Ballermann der Karibik« zu sein. »Das ist zum Glück nicht mehr so. Ich möchte aber, daß die Touristen sich nicht an Müllberge und Lärm, sondern Sosúa als sympathischen Urlaubsort mit eigenem Flair erinnern«, betont Katz.
Haus für Haus besucht Benny Katz mit seinen Helfern die Wähler in Sosúa und Umgebung, um ihnen sein Programm zu vermitteln. In der Kneipen- und Restaurantmeile der Calle Pedro Clisante verteilt er Flugblätter mit seinen Vorstellung von einer lebenswerten Tourismusstadt: Regelmäßige Müllabfuhr, Straßenreinigung, Schulbusse für Kinder aus der Umgebung. Er will mehr für den Umweltschutz tun, ein Hilfsprogramm für mißhandelte Frauen steht auf seinem Programm ebenso wie der Neubau für die Berufsfeuerwehr, Schulkinder sollen die Grundzüge eines umweltverträglichen Verhaltens bereits auf Kindesbeinen erlernen.
Wenn Luis Hess, der in der Calle Pedro Clisante wohnt, allein zu entscheiden hätte, würde der neue Bürgermeister von Sosúa Benny Katz heißen, der Sohn seines Nachbarn. »Benny ist fleißig und vor allem nicht korrupt«, sagt Hess anerkennend. Der 97jährige ist Sohn einer Erfurter Schuhfabrikantenfamilie. Er kam 1939 auf der Flucht vor den Nazis in die Karibikrepublik. »Benny würde der Stadt als Nachfahre der jüdischen Stadtgründer gut tun.« Aber erst einmal muß sich Benny Katz gegen seine Konkurrenten bei den Kommunalwahlen durchsetzen – und die haben im Gegensatz zu ihm große Parteien im Rücken. Auch das gleichzeitig Kongress- und Senatswahlen in der Dominikanischen Republik stattfinden, könnte die Entscheidung zu seinen Ungunsten mitbestimmen.
»Es wäre toll gewesen, wenn ich gemeinsam mit Benny für die Verbesserung der Stadt hätte arbeiten können«, sagt Ilana Neumann. Ihr Vater Avi ist 1961 aus einem israelischen Kibbuz in die jüdische Karibiksiedlung gekommen. »Mit Benny bin ich groß geworden ...« Ilana Neumann ist gerade mal sechs Jahre jünger. Aber im Gegensatz zu dem Neupolitiker Katz ist sie seit Jahren Berufspolitikerin – und tritt für die politische Konkurrenz von Benny Katz an. Seit vier Jahren sitzt sie für die Dominikanische Revolutionäre Partei, im Kongreß als Vertreterin der Provinz Puerto Plata, zu der Sosúa gehört. »Meine Familie mütterlicherseits war schon immer politisch aktiv«, erklärt Neumann. Ihre Mutter zuerst im Widerstand gegen den blutigen Diktator Rafael Trujillo, der den Juden Zuflucht gewährte, dann in den 80er Jahren als Gouverneurin der Provinz Puerto Plata.
»Ilana, Ilana«, rufen Männer und Frauen mit weißen PRD- und roten PRSC-Fahnen und dem Konterfei der Abgeordneten, als diese aus einem weißen Vierradjeep aussteigt.
Ilana Neumann will diesmal mit der Unterstützung der reformistischen Partei, die Katz nicht aufgestellt hat, ihr Mandat erneuern. Umarmungen hier, Hände- schütteln dort, jeder möchte ein Foto von sich mit der jungen Frau und dem immer lächelnden Gesicht, die um den Hals ein Silberkettchen mit einem brillanten besetzten David-Stern trägt. »Ich fühle mich als Jüdin, das habe ich von meinem Vater geerbt«, sagt die junge Frau.
»Wir werden wieder siegen, die Region ist traditionell sozialdemokratisch«, ist sich die 37jährige sicher. Die Zeit ist knapp. Während sie von Tür zu Tür eilt, verteilt ein Wahlhelfer Fotos von Ilana Neumann, deren helle Haut mit der hier in dem Armenviertel von Puerto Plata eher dunkelhäutigen Bevölkerung kontrastiert. Sie schüttelt einem Mann mit einem Gipsverband am Bein Mut machend die Hand, läßt sich von einer Frau ins Haus ziehen, die ihr ein Rezept zeigt mit der Bitte, ihr das Geld für die Medikamente doch zu geben. In einer Straße bittet einer der Anwohner darum, doch zwei defekte Birnen der Straßenlaternen zu finanzieren. »Mache ich, aber denkt bei der Wahl daran, wer euch das bezahlt hat«, sagt Neumann, in der Hand ein Handy, an dem ein kleiner Magen David baumelt.
»Wohltätigkeit sollen wir üben, solidarisch mit den Armen sein und ihnen helfen. Das habe ich gelernt und das versuche ich mit meiner Politik umzusetzen«, betont Ilana Neumann, während sie bereits in ein anderes Viertel hetzt. 15 Kilometer in Sosúa entfernt setzen sich mehrere Kleintransporter mit Fahnen und Plakaten mit dem Bild von Benny Katz in Bewegung. Auch er sucht den engen Kontakt mit seinen Wählern. Katz richtet seine etwas verrutschte Kippa und sagt mit Bedacht: »Wir müssen unsere soziale Aufgabe erfüllen. Wer, wenn nicht ich?«

Kultur

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