Rabbiner Avichai Apel ist tief beeindruckt. »Es war ein einmaliges Erlebnis«, sagt der Frankfurter Gemeinderabbiner. Er sitzt am Samstagabend an einem langen Tisch im Forum der Messe Frankfurt. Unzählige junge Stimmen hallen unterdessen durch den großen Raum. Die aus ganz Deutschland angereisten Kinder und Jugendlichen bringen sich lautstark für die große Show der 18. Jewrovision in Stimmung. Apel hat den gesamten Schabbat mit ihnen verbracht. Am Freitagabend kamen rund 1300 junge Menschen in der Westend-Synagoge zum Kabbalat Schabbat zusammen.
»Das war wirklich unglaublich«, meint auch Mark Krasnov. Der Religionslehrer aus Wiesbaden kennt die Jewrovision seit ihrer zweiten Ausgabe. »Da stand ich sogar auf der Bühne«, erinnert sich Krasnov, der viele Jahre mit jüdischen Jugendlichen in Hannover und Wiesbaden arbeitete. Und nun erlebt er ein Event ganz anderer Dimension. Von Euphorie spricht Aaron Serota, Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland.
Workshops Besonders der Freitagabend – erst der Gottesdienst in der Synagoge und dann die große Schabbatfeier im Forum – hat bei ihm viele Emotionen ausgelöst: »Wenn plötzlich über 1000 junge Leute beim Schabbat sind, dann ist es etwas ganz Besonderes.« Diese Stimmung habe sich durch das ganze Wochenende gezogen, sagt Serota. Er zitiert den Frankfurter Gemeinderabbiner Julian-Chaim Soussan, der in der Westend-Synagoge sagte, für ihn sei ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen, und er habe jetzt doch viel Hoffnung für eine jüdische Zukunft in Deutschland.
Am Samstagnachmittag steht das Lernen im Mittelpunkt. 13 Workshops bieten den Jugendlichen und den Jewrovision-Alumni Gelegenheit, über Themen aus der jüdischen Lebenswelt nachzudenken. Unzählige Interessenten zieht Benjamin Fischer an, der über jüdische Comiczeichner und -helden spricht. »Comics sind mehr als nur Bildergeschichten«, sagt Fischer, »sie haben eine tiefergehende Botschaft.«
Die Idee von Superheldencomics sei, dass jeder von uns die Welt verändern könne. Fischer verweist auf die jüdischen Wurzeln der Schöpfer von »Superman« und »Captain America«. Nebenan lassen sich die Jugendlichen von Reiseleiter Shmuel Kahn nach Jerusalem mitnehmen. Der Musiker Ben Salomo erkundet in einem weiteren Workshop die deutsche Rap-Szene. Auch ein Gesangscoaching steht auf dem Programm der Mini-Machane.
»Man hat uns gesagt, es sei gut«, sagt eine Teilnehmerin zu Beginn des Workshops »Build your own future«. Rabbiner Soussan hat sich zuvor über den Zuspruch gewundert. Er spricht darüber, wie man sich als Jude in Deutschland positionieren soll. Er erinnert sich zunächst an die Zeit vor dem Beginn der Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion. Vor 1990 seien Antisemitismus und Israel die wichtigsten Themen in den westdeutschen Gemeinden gewesen. »Meine Frage ist: Reicht das?«, sagt Soussan. Man solle sich nicht über etwas definieren, was von außen herangetragen wird. Im Verlauf des Workshops geht es um halachische Fragen sowie die Suche nach einem jüdischen Partner. Soussan spricht anschaulich und klar.
Engagement »Jüdische demokratische Selbstermächtigung« ist Hannah Peacemans Workshop überschrieben. Mit den erwachsenen Teilnehmern bespricht Peaceman, wie junge Juden Deutschland verändern können. Als Beispiel für demokratisches Engagement nennt sie die Gründung von »Keshet Deutschland«, einer Vereinigung für queere Jüdinnen und Juden.
»Liebe Jewrovision 2019, Schawua tov!«, ruft Marat Schlafstein in das Forum und erntet Begeisterung. Es ist Samstagabend. Alle Teilnehmer haben sich in einem übergroßen Oval zur Hawdala aufgestellt. »Ich war auf jeder Jewrovision, ich war noch nie so aufgeregt«, sagt Schlafstein, der schon oft den Wettbewerb mitorganisiert hat. »Die Jewrovision gibt euch Gelegenheit, euren Chai auszupacken!«, ruft er.
Nachdem der Ruf »Am Israel Chai« erklingt, beginnt die Hawdala. Rabbiner Avichai Apel leitet die kraftvolle Zeremonie, die den gesamten Saal mitnimmt und buchstäblich bewegt.