Guido Westerwelle sieht blass aus. Angespannt. Schlussphase des Wahlkampfs. Ein Termin jagt den anderen. Wenig Schlaf. Dennoch nimmt der FDP-Vorsitzende sich im Glaskuppelsaal seiner Bundestagsfraktion, gegenüber dem Reichstag, ein paar Minuten Zeit für ein Thema, das nicht im Mittelpunkt des aktuellen Interesses steht.
»Herr Westerwelle, die Liberalen sind die Partei von Ignatz Bubis, aber auch von Jürgen W. Möllemann. Wie ist ihr aktuelles Verhältnis zu den Juden in Deutschland und zum Staat Israel?«
Auch der müde Westerwelle entscheidet in Sekundenschnelle. Er könnte jetzt in eine Eloge auf Ignatz Bubis ausbrechen, die jüdische Ikone im liberalen Traditionseckchen. Aber dann müsste er die Frage gewärtigen, warum der zehnte Jahrestag seines Todes neulich nur für die hessische FDP ein Besuchsereignis war. Vor allem aber, wenn er sich auf diesen Teil der Frage einließe, müsste er auch den Namen Jürgen W. Möllemanns in den Mund nehmen.
Keine Chance! Also schaltet der FDP-Vorsitzende um, auf Außenminister in spe: »Wir haben in unserer ganzen Geschichte gezeigt, dass wir Freunde Israels sind und zwar nicht nur wegen unserer historischen Verantwortung, sondern vor allem deshalb, weil Israel in der gesamten Region die einzige Demokratie ist. Uns verbindet die Wertegemeinschaft der Demokraten. Deswegen hat Israel ein Recht auf sichere Grenzen. Ebenso wie die Palästinenser ein Recht auf einen eigenen Staat haben.« Geschafft!
Nicht ganz. Eine Frage noch dazu, wie die aktuelle Kanzlerin, deren Außenminister er nach dem 27. September werden will, ihr Verständnis von deutscher Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk in aktuelle Politik übersetzt. »Erinnern Sie sich noch, was sie gedacht haben, als Angela Merkel Papst Benedikt XVI. wegen dessen uneindeutiger Haltung zu Holocaust-Leugnern kritisiert hat?«
Schweigen. Zehn, 15 Sekunden. »Ich hätte eine andere Form gewählt, als neben jemandem mit diesem politischen Hintergrund in einer Pressekonferenz zu stehen und das zu sagen.« Der »Jemand« war Nursultan Nasarbajew, Präsident Kasachstans, alles andere als ein lupenreiner Demokrat.
»Hätten Sie sich auch öffentlich geäußert oder nur diskret?«
»Ich sage ja: Ich hätte eine andere Form gewählt.« Ende.
Was Westerwelle nicht sagt: Merkel hatte mehrfach vergeblich auf eine Gelegenheit gewartet, ihre Kritik zu äußern. Ihr Regierungssprecher hatte einige Male einen passenden Sprechzettel in die Bundespressekonferenz gebracht und musste ihn, mangels einschlägiger Fragen, unverrichteter Dinge wieder mitnehmen.
millionenstrafe Doch zurück zu Jürgen W. Möllemann. Ist es nicht ungerecht, die aktuelle Führungsriege der FDP immer wieder mit dieser alten Affäre zu konfrontieren? Er ist tot. Seit sechs Jahren. Die Umstände deuten auf Selbstmord. Möllemann hatte sich ins politische Abseits manövriert. Die FDP hatte sich von ihm getrennt. Doch seine Schuld und Schulden muss sie immer noch abtragen. Erst Anfang Juli hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nach langwierigen Ermittlungen und Auseinandersetzungen der FDP 4,3 Millionen Euro als Strafe für Möllemanns Verstöße gegen das Parteiengesetz festgesetzt. Die Partei klagt dagegen. Außerdem: Möllemann kam nicht von irgendwoher, war stellvertretender FDP-Chef, Vorsitzender ihres größten Landesverbandes, Nordrhein-Westfalen. Der Mann, der 2002 einen Wahlkampf mit antiisraelischen, antijüdischen Vorurteilen machte, der versuchte, die FDP auf den Kurs einer populistischen »Volkspartei« nach niederländischem Vorbild zu bringen, kam aus ihrer Mitte.
Der passionierte Fallschirmspringer war Ziehsohn des liberalen Übervaters Hans-Dietrich Genscher und eine Zeit lang Weggefährte Guido Westerwelles. Vom »Projekt 18« träumten sie gemeinsam. Es war der heutige FDP-Vorsitzende, der Möllemanns Idee umsetzte, der Partei – sie war, solange es die Republik gibt, immer nur Juniorpartner – plötzlich einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzupfropfen.
ultimatum Warum hat der heute unangefochten starke Mann der FDP, warum hat die Partei Möllemann so lange gewähren lassen? Die Antwort des Generalsekretärs: »Der Bundesvorsitzende war damals ganz neu im Amt«, erinnert sich Dirk Niebel. »Möllemann war Vorsitzender des mitgliederstärksten Landesverbandes, dem Westerwelle als Bonner ebenfalls an- gehörte. Er musste sich in seinem neuen Amt an der Spitze der Partei erst einmal den Rückhalt organisieren, um sicher zu sein, dass er den Kampf mit Möllemann bestehen konnte. Als er es war, hat er ihm das Ultimatum gestellt, das den Anfang von Möllemanns politischem Ende in der FDP bedeutete.« So weit die parteioffizielle Darstellung.
An Ignatz Bubis hat Niebel eine persönliche Erinnerung aus seinen politischen Anfangstagen. »1994 hat er mich in meinem ersten Bundestagswahlkampf unterstützt. Eine Veranstaltung in Eppelheim, in meinem Heidelberger Wahlkreis.« Selbstverständlich fehle er heute. »Nicht nur im Kontakt zur jüdischen Gemeinde«, sondern auch, weil er einfach ein toller Mensch gewesen sei. »Aber so einen können Sie eben nicht backen!«
Zu den Ehrenämtern des FDP-Generalsekretärs Niebel zählen der stellvertretende Vorsitz der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe und die Vizepräsident- schaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Proporz oder inneres Engagement? »Sowohl als auch«, gibt der Politiker zu. Jede Bundestagsfraktion kann einen Vize nominieren. Der werde in aller Regel gewählt. Aber Niebel hat von Jugend an auch einen persönlichen Bezug zu den Juden in Deutschland und zu Israel. Wie nicht wenige aus seiner Generation hat der heute 46-Jährige als Jugendlicher Buch um Buch über den Holocaust verschlungen. Aber auch zur Geschichte des Nahostkonflikts. Schließlich verbrachte er 1982, während des ersten Libanonkrieges, die großen Ferien in einem Kibbuz unmittelbar an der libanesischen Grenze. »Wenn Sie mal erlebt haben, wie nachts Ihr Wohnort mit Raketen angegriffen wird ...« Er bricht ab. »Da entsteht schon eine emotionale Bindung.«
Dirk Niebel nennt ein klares Ziel für das Zusammenleben mit den Juden in Deutschland: »Das Entscheidende ist, ich glaube, das wollen alle demokratischen Parteien, dass Juden ihren Glauben leben können, ohne Polizeischutz in Anspruch nehmen zu müssen.« Er findet es unerträglich, dass heute immer noch eine jüdische Einrichtung am Polizeiposten vor der Tür zu erkennen ist.
Nach den Irritationen der Vergangenheit sieht Niebel heute normale Beziehungen zwischen seiner Partei und dem Zentralrat sowie den jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht grundsätzlich anders als zu den anderen Religionsgemeinschaften. Und das Verhältnis der Partei des möglicherweise künftigen Außenministers zu Israel? »Meine Wahrnehmung ist, dass die deutschen Juden nicht zwingend immer für israelisches Regierungshandeln in die Pflicht genommen werden wollen«, antwortet Niebel. Aber er fügt auch hinzu: »Unabhängig von irgendeiner Partei oder wer an der Spitze des Auswärtigen Amtes steht, ob Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel oder ein anderer Liberaler – das besondere Verhältnis zu Israel ist Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Einen Beitrag zu leisten zur Existenzsicherung Israels in Frieden ist und bleibt eine der Grundaufgaben deutscher Außenpolitik.«
kommission Michael Goldmann ist Ortsbürgermeister im niedersächsischen Aschendorf – und FDP-Bundestagsabgeordneter. Aber davon später. Aus Aschen-
dorf stammt Heinrich Middendorf. Weil der katholische Pater in seinem Kloster sieben Juden vor den Nazis versteckte, wird er in Yad Vashem als »Gerechter unter den Völkern« geehrt. Goldmann sprudelt nur so los, wenn es darum geht, zu erzählen, wie die örtliche Schule nach dem mutigen Priester benannt wurde, wie er dem israelischen Botschafter schrieb und dass dessen Antwort heute in der Schule ausgestellt ist.
In der FDP-Bundestagsfraktion ist Michael Goldmann Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Er gehört der entsprechenden Kommission der Partei an. Einen jüdischen Arbeitskreis wie in der SPD gibt es in der FDP nicht. Als liberale Partei erhebt sie nicht einmal Daten über die Religionszugehörigkeit ihrer Mitglieder. Vor einigen Monaten hat sich aber ein »Arbeitskreis Christen in der FDP-Bundestagsfraktion« zusammengetan.
Goldmann sieht dieses Engagement mit gebremstem Vergnügen. Der gläubige Katholik mag die Ausschließlichkeit nicht. Er sucht den Dialog mit allen Religionen und Gemeinschaften – dem Judentum zumal. Er weiß, wie viel man dafür auch und gerade im Kleinen tun kann, nicht nur in Aschendorf. Aber er macht auch immer wieder die Erfahrung, wie sehr der Teufel im Detail steckt.
Die Kommision der FDP für Kirchen und Religionsgemeinschaften tagt einmal im Monat. Michael Goldmann hätte gern auch einen Vertreter des Judentums dabei. Deshalb will er sich jetzt um einen neuen Termin bemühen. »Wir sind alles berufstätige Menschen«, sagt Goldmann entschuldigend. Denn bisher finden die Treffen an einem Samstag statt. Am Schabbat.