von Sue Fishkoff
Neun Uhr morgens an einem Herbsttag auf dem Land in Connecticut. Zwei Dutzend junge Menschen haben sich auf einer Wiese versammelt, um zu beobachten, wie neun Ziegen geschächtet werden. Die meisten von ihnen sind Stipendiaten des dreimonatigen Adamah-Ausbildungsprogramms für jüdisches Führungspersonal im Umweltschutz am Isabella Freedman Jewish Retreat Center in Falls Village. Dort lernen sie, was jüdische Werte, ökologische Landwirtschaft und nachhaltiges Leben miteinander zu tun haben.
Schweigend stellen sie sich etwa sechs Meter von einer Holzbank entfernt auf, wo die Ziegen geschlachtet werden. Einer streut Heu unter die Bank, das das Blut aufsaugen soll. »Ich bin seit sieben Jahren Vegetarier, aber ich habe nichts dagegen, dass Menschen Fleisch essen«, sagt der 24-jährige Ashley Greenspoon aus Toronto. Doch beim Schlachten zuzusehen, das mache ihn »ein wenig nervös«, gibt er zu. »Aber es ist ein Teil unserer Realität, und deshalb ist es wichtig, dass wir uns dem stellen. Solange auf der Welt Fleisch gegessen wird, müssen wir die Verantwortung übernehmen, dass es respektvoll geschieht.«
Im Mittelpunkt des Adamah-Programms steht die Idee, sich selbst mit koscheren Bio-Nahrungsmitteln zu versorgen – als Gegengewicht zur gigantischen industriellen Lebensmittelproduktion. Im Fall von Obst und Gemüse ist das nicht schwierig. Doch außerhalb des Schlachthaussystems an koscheres Fleisch heranzukommen, ist schwer.
Die Bio-Bewegung und das Gerichtsverfahren gegen den Koscherfleischproduzenten Agriprocessors (vgl. JA vom 29. Mai) brachten in letzter Zeit eine Handvoll junger Aktivisten dazu, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Angeregt von ähnlichen Initiativen bei nichtkoscheren Lebensmitteln, haben engagierte Juden damit begonnen, eigene koschere Fleischbetriebe zu gründen, in denen die Tiere artgerecht gehalten und verarbeitet werden.
»Ich fing an, großen Wert darauf zu legen, wo das Essen für meine Familie herkam«, sagt die New Yorker Ärztin Maya Shetreat-Klein. Im August startete sie Mitzvah Meat, eine Kooperative für Lamm- und Rindfleisch, das von artgerecht aufgezogenen, mit Gras gefütterten Tieren stammt. Shetreat-Kleins Betrieb ist der dritte dieser Art in den USA. Der größte ist Kol Foods, ein koscherer Schlachtbetrieb für Rinder und Schafe in Maryland, der demnächst eine Filiale an der Westküste eröffnen möchte. Eine wesentlich kleinere Initiative, Kosher Conscience, hat ihren Hauptsitz in Brooklyn.
Die an diesem Herbstmorgen in Connecticut geschlachteten Ziegen stammen aus der Herde von Aitan Mizrahi, der seit 2006 am Isabella Freedman Center Ziegen für die Fleisch- und Milchproduktion hält. Von ihm kamen auch die drei Ziegen, die vergangenen Dezember auf der Nahrungskonferenz der jüdischen Umweltschutzorganisation »Hazon« geschlachtet und gekocht wurden. Seither reißt die Diskussion für und wider koscheres Biofleisch auf jüdischen Food-Blogs nicht ab. »Es ist spannend zu begreifen, dass man ein glückliches und gesundes Leben führen kann, wenn man sich mit dem größten Teil seines Essens selbst versorgt«, sagt Mizrahi. »Und wenn man das Tier kennt, das man isst, neigt man dazu, weniger zu essen.«
Rabbi Shalom Kantor, der Schochet, steht ein wenig abseits der Gruppe und schleift sein Challaf, das rituelle Schlachtmesser. Kantor, der als Hillel-Rabbiner an der Binghamton University in New York arbeitet, ist der einzige bekannte Schochet der Konservativen in Nordamerika. Obwohl er bei einem orthodoxen Schochet in Israel gelernt hat, bedeutet seine konservative Ordination, dass die Tiere, die er schlachtet, von keiner Stelle, die Koscher-Siegel ausstellt, zertifiziert werden. Kantor sagt, er führe die Schlachtungen durch, weil er Juden helfen möchte, Verantwortung zu übernehmen für das Fleisch, das sie essen.
»Ein Teil von mir denkt, dass ein Jude, der nicht auf irgendeine Weise an der Verarbeitung des Tieres teilhat, dieses Tier eigentlich nicht essen sollte«, meint Kantor, der in Idaho mit Jagen und Angeln aufgewachsen ist. »Manche sagen, das einzige Fleisch, das sie essen möchten, sei Hähnchenbrust ohne Haut und Knochen. Vielleicht aber fordern Gott und unsere Tradition von uns, dass wir uns an der Herstel- lung unseres Essens mehr beteiligen sollen.«
Die erste Ziege, ein großes schwarz-weißes Tier, wird zur Bank geführt und schnell auf den Rücken gedreht. Zwei Männer halten die Beine des Tieres fest, einer von ihnen streichelt ihre Flanke, um sie zu beruhigen, während ein dritter den Kopf zurückbiegt, um den Hals zu strecken. Kantor tritt rasch hinzu, spricht den Segen für die Schechita und macht zwei schnelle Schnitte am Hals der Ziege, wodurch die Halsschlagader und die Luftröhre mit einer einzigen Bewegung durchtrennt werden. Helles Blut spritzt hoch und durchnässt Hemd und Hose des jungen Mannes, der den Kopf der Ziege hält. Das Tier zuckt zehn Sekunden, und die Studenten holen tief Luft.
Nun heben die Männer das Tier auf und legen es sanft auf ein Heulager neben der Bank. Sie schnüren Stricke um die Hinterbeine und hängen es an Haken in einer an den Seiten offenen Hütte auf. Rabbi Kantor tauscht sein Challaf gegen ein Küchenmesser, um zu zeigen, wie man das Tier häutet und auf koschere Weise ausweidet, was aber nur der Schochet selbst tun darf.
Alle neun Ziegen zu töten, zu häuten und auszuweiden, dauert etwa sechs Stunden. Später am Nachmittag und bis weit in die Abendstunden hinein legen Kantor und die drei Männer, die sich zusammengetan haben, um das Fleisch zu erstehen, die koscheren Teile der Tiere hinter dem Haus von Mizrahi ein und pökeln sie, bevor alles für den Transport eingepackt wird.
Mittlerweile sitzen die Adamah-Studenten im Kreis zusammen, um ihre Eindrücke vom Schlachten zu verarbeiten. Viele sprechen davon, dass das Erlebnis, zuzusehen, wie ein Tier geschlachtet wird, damit sie es essen können, in ihnen Gefühle der Dankbarkeit und Demut geweckt habe. Zeuge der Schechita zu sein, sagen sie, lasse sie die Kaschrut ganz anders würdigen, als bloß in Büchern darüber zu lesen.
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