von Rabbiner Shimon Golan
Mit dem Wochenabschnitt Teruma beginnen wir eine Reihe von fünf Toralesungen, in denen es hauptsächlich um das Stiftszelt und seine Ausstattung geht. Über das Gebot, ein Tabernakel zu schaffen, wurde viel geschrieben. Dabei ging es auch um die Frage, die sich Moses der Überlieferung zufolge selbst gestellt hat, als er diesen Befehl erhielt. Im Midrasch Pesikta deRav Kahana ist zu lesen, dass Moses erschrocken war, als er vom Allmächtigen hörte: »Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, damit ich darin wohne« (2. Buch Moses 25,8). Moses habe daraufhin gesagt: »Herr des Universums, der gesamte Himmel reicht nicht, Dich zu beherbergen. Doch Du sagst, wir sollen Dir ein Heiligtum machen?«
Daher ist eine weithin anerkannte exegetische Ansicht, dass das Tabernakel und seine Ausstattung nicht befohlen wurden, um einen göttlichen Bedarf zu erfüllen. Vielmehr war es dazu da, ein bestimmtes menschliches Bedürfnis zu erfüllen. Ergänzend sollte betont werden, dass es um mehr ging, als um gewöhnliche Bedürfnisse. Vielmehr deutete die Ausstattung auch auf etwas Erhabenes und Esoterisches hin.
Diese Idee wird auch im Kli Yakar
(Rabbi Shlomoh Ephraim Luntschitz, 1550-1619) formuliert: »Alle mit dem Bau der Stiftshütte in Zusammenhang stehenden Details, ihre Einrichtung und wie sie zu schaffen war, sind im Talmud zu finden. Weder ist etwas hinzuzufügen, noch ist etwas wegzunehmen. Auch gibt es keine neue Einsichten. Was bleibt, sind biblische Details, in denen Hinweise auf Verborgenes und Offenes stecken. Denn es ist unvorstellbar, das alle diese Details keine Bedeutung haben sollen.«
Die Suche nach zusätzlicher Bedeutung ist besonders deutlich in der Konstruktion des Leuchters und der Lampen, wie wir im Babylonischen Talmud (Schabbat 22b) le-
sen können: »,Stelle den Leuchter vor den Vorhang der Bundeslade.’ Braucht der Ewige etwa das Licht? Waren die Kinder Israels in der 40-jährigen Wanderung durch die Wüste nicht Seinem Licht gefolgt? Vielmehr zeigt der Leuchter der Menschheit, dass die göttliche Gegenwart in der Mitte Israels verweilt.«
Weiterhin wird in dieser talmudischen Diskussion vom Raw auf die Lampe verwiesen, die auf dem Leuchter am westlichsten stand: »Es wurde die gleiche Menge Öl hineingetan, wie in die, die ihr am nächsten stand. Alle anderen Lichter wurde von diesem entzündet, dennoch erlosch dieses auch als letztes.«
Raw Kook (Jerusalem, 1939) gibt dieser Interpretation noch eine zusätzliche Tiefe: »Zwei Kräfte steckten im Leuchter: die Kraft des Erhabenen und die Kraft der Natur. Natur deshalb, weil Menschen das Licht entzündeten und frisches Öl jeden Tag ersetzt wurde. Aber der Leuchter of-
fenbart auch die Kraft des Allmächtigen, im Wunder der westlichsten Lampe, was beweist, dass die göttliche Gegenwart in der Mitte Israels zu finden ist. Insofern weisen alle sieben Lampen zusammen auf die sieben Ebenen der Weisheit hin, drei auf der einen und drei auf der anderen Seite, die alle auf die mittlere Lampe weisen, die für höchste Weisheit steht. Dennoch stand der Leuchter vor dem Vorhang des Allerheiligsten, um zu zeigen, dass Israel zwei Heiligkeiten gegeben wurden: den Gesetzen der Natur zu folgen, und gegen sie zu handeln, wenn es Gottes Wille ist.«
Die Annahme, die Raw Kooks Bemerkungen zugrunde liegt, ist, dass der Kandelaber alle Arten von Weisheit darstellt. Diese deutete zweifellos auch Rabbi Yitzhak (Bawa Batra 25 b) an: »Wer weise werden will, wende sich gegen Süden; wer reich werden will, wende sich gegen Norden. Als Merkzeichen diene dir: der Tisch nördlich und der Leuchter südlich.«
Dementsprechend beschreibt Rabbi Ju-
dah HaLevy im Kusari (2,26) den Zweck der verschiedenen Gegenstände im Stiftszelt: »Deshalb befahl Gott, einen Altar für Opfer, einen Räucheraltar und den Leuchter zu machen ... Der Opferaltar wurde mit offenem (natürlichem) Feuer, so wie wir es kennen, beleuchtet. Der goldene Altar wurde mit dem versteckten Feuer beleuch-
tet. Der Leuchter repräsentierte das Licht von Weisheit und Wissen.«
Wir haben hier ein Beispiel, wie jüdische Exegeten sich mit der Symbolik eines der Ausstattungsstücke des Stiftszelten auseinandergesetzt haben. Möge es Gottes Wille sein, dass dieser Diskurs über das Heiligtum und seine Geräte mehr als eine rein theoretische Diskussion sein wird. Und dass wir den Tempel und seine Ausstattung in früherer Herrlichkeit erleben können.
Teruma: 2. Buch Moses 25,1 bis 27,19
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fakultät für Jüdische Studien der Bar-Ilan-Universität, Ramat Gan/Israel, www.biu.ac.il